Amerikanische Sexindustrie Aids-Angst im Porno-Tal

Von Johannes Gernert
Aufregung in der US-Pornoindustrie: Trotz positivem HIV-Test hat eine Darstellerin weitergearbeitet
Aufregung in der US-Pornoindustrie: Trotz positivem HIV-Test hat eine Darstellerin weitergearbeitet
© Colourbox
Es ist fünf Jahre her, dass die Porno-Industrie in den USA wochenlang brach lag, weil ein HIV-Infizierter Darstellerinnen angesteckt hatte. Jetzt hat wieder ein Starlet trotz positivem Aids-Test gearbeitet. Die Aufregung ist groß, die zuständige Klinik gerät in die Kritik, der Ruf nach Kontrollen wird laut.

Das Virus ist zurück im San Fernando Valley, im Tal der amerikanischen Sexindustrie. Bei einer Porno-Darstellerin ist HIV nachgewiesen worden. Plötzlich ist die Rede davon, dass es seit 2004 18 weitere Fälle gegeben haben könnte. Die Erinnerungen sind sofort wieder da. Vor fünf Jahren hatte ein Kollege drei Frauen angesteckt, weil er am Set Sex hatte, obwohl er HIV-positiv war. Die Porno-Produktionsfirmen verhängten damals einen mehrwöchigen Drehstopp. Damals wie heute werden all die Gesundheitsfragen diskutiert, die sich in diesem Geschäft in solchen Situationen immer stellen: Warum arbeiten die meisten ohne Kondome? Reicht die freiwillige HIV-Kontrolle der Produzenten? Kann der Staat nicht schärfer kontrollieren?

Trotz der kontroversen Debatte hat sich wenig geändert. Die Verantwortlichen der Studios verweisen immer wieder auf die Selbstkontrolle und ein medizinisches Institut, das hauptsächlich für die Gesundheit der Porno-Protagonisten zuständig ist, die Adult Industry Medical Health Care Foundation (AIM). An deren Spitze steht die ehemalige Darstellerin Sharon Mitchell, die den Medien jetzt Panikmache vorwirft.

Aber Mitchell ist wegen ihrer Informationspolitik selbst in die Kritik geraten. Das Gesundheitsamt will wissen: Wie heißt die infizierte Darstellerin? Mittlerweile hat die Behörde sogar die AIM-Büros inspiziert und klagt auf Herausgabe der Patientenakten. AIM behauptet weiterhin, bisher existiere nur ein Fall, der einzige seit dem Skandal von 2004. Die 18 anderen Infizierten seien zum Testzeitpunk nicht in der Branche tätig gewesen. Es könne jeder zum Check ins Institut kommen, nicht nur Pornodarsteller. Zu den Kunden zählen tatsächlich auch Callgirls und andere Sexarbeiter.

Wie es passieren kann, dass die Darstellerin am 4. Juni positiv getestet wurde und einen Tag später trotzdem noch drehte, konnten die Klinik-Betreiber gegenüber der "Los Angeles Times", die den Fall aufgedeckt hat, auch nicht erklären. Zurzeit wird das Ergebnis eines finalen Tests erwartet, der absolut sicherstellen soll, dass die Darstellerin mit HIV infiziert ist. Erst dann werde die Information an die Gesundheitsbehörde weitergeleitet, heißt es bei AIM.

System der AIM besteht aus freiwilliger Verpflichtung

Sharon Mitchell hat das Institut 1998 gegründet, um die Gesundheit der Darstellerinnen zu schützen. Im San Fernando Valley sitzen 200 Pornofirmen, 1200 Frauen und Männer stehen regelmäßig vor der Kamera. Mitchell sei kein Teil der Sex-Industrie, sagt der Regisseur Jens Hoffmann, der sich in seiner aktuellen Kino-Dokumentation "9 to 5 - Days in Porn" intensiv mit AIM befasst hat. Das System, das Mitchell etabliert hat, basiert auf einer freiwilligen Verpflichtung zu regelmäßigen HIV-Tests, die alle 30 Tage stattfinden sollen.

"No-Lists" zeigt Gefahrenträger

Jeder Teilnehmer kann alle Ergebnisse einsehen. Zusätzlich wird festgehalten, wer, wann mit wem gedreht hat. Gleichzeitig stellt Mitchell auf der AIM-Homepage fest: "Wir sind nicht die Porno-Polizei, das wollen wir auch nicht sein." Die Verantwortung liegt letztlich bei den Darstellern. Manche, erzählt Regisseur Hoffmann, weigern sich mit Partnern zu arbeiten, deren Test älter als drei oder vier Tage ist, weil innerhalb eines Monats viel passieren kann, auch eine Neuinfektion. Es gebe außerdem "No-Lists", auf denen steht, mit wem man unter keinen Umständen drehen will. Wegen der aktuellen HIV-Verunsicherung stellt ein Pornostar in einem Blog fest: "Ich werde nicht arbeiten, bis ich weiß, um wen es da geht." Das sei für sie erst einmal die einzig vertretbare Lösung. Auch sie schreibt, sie drehe mit keinem, dessen Test älter als sieben Tage ist.

In Deutschland noch kein HIV-positiver Darsteller bekannt

Im internationalen Vergleich ist Los Angeles mit der AIM-Klinik führend. In Deutschland etwa gebe es weder gesetzliche Vorschriften noch branchenweite Selbstverpflichtungen, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands Erotikhandel Uwe Kaltenberg. Es kommt also allein auf die Produzenten an, ob sie HIV-Tests fordern. Fast alle würden darauf bestehen, sagt Kaltenberg. Hierzulande sei bisher kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem sich in der Pornobranche jemand mit dem Virus infiziert habe: "Was nicht heißen muss, dass es keinen gibt."

In Kalifornien hat die AIDS Healthcare Foundation mittlerweile mit einer Pressekonferenz auf den HIV-Fall reagiert und gefordert, der kalifornische Staat müsse Kondome in Pornos endlich verpflichtend machen. Denn nur die, nicht das Testsystem, können vor einer Ansteckung schützen. Gesetze dazu gäbe es schon, sagen Anti-Aids-Aktivisten. Nämlich Sicherheitsregeln für den Arbeitsplatz zum Schutz vor der Übertragung von Blutkrankheit. Und darüber wäre es möglich, den Einsatz von Kondomen vorzuschreiben. Praktisch würden die Gesundheitskontrolleure mit dem Sanktionieren allerdings nicht mehr nachkommen, wenn sie das ernst nehmen, beklagt eine Behördenvertreterin in der "New York Times". Bisher haben sich Kondome vor allem in Schwulen-Pornos durchgesetzt, auch in Produktionen aus Frankreich oder Spanien werden häufiger welche verwendet - in den USA und Deutschland dagegen kaum.

In der "New York Times" fragt ein aktueller Debattenbeitrag nun, ob Pornos wegen neuerlicher HIV-Skandale irgendwann vielleicht einmal genauso gesellschaftlich geächtet werden wie Zigaretten. Sie gefährden schließlich die Gesundheit der Darsteller. Schuld daran seien die Konsumenten - weil sie kaum Filme kaufen, in denen Kondome zu sehen sind.