Erotikmessen Männer von der Venus

  • von Björn Erichsen
Im zweiten Teil der Venus-Reihe geht es um Einstiegschancen in die Erotikbranche, eine fesselnde Aufführung und eine Darbietung, bei der so manchem der Atem stockt.

Zweiter von drei Teilen

Jeder kann dabei sein. "Na ja, fast jeder" sagt Kerstin, die auf der Venus für die Agentur DMC-Magma auf der Suche nach talentierten Nachwuchsdarstellern ist. Durch die wachsende Nachfrage braucht die Branche immer Nachschub an jungen, unverbrauchten Gesichtern. Vor allem an weiblichen. Zehn Anmeldungen hat sie heute schon bekommen. "Alles nur Männer, alles wie immer", sagt sie und lacht. "Dabei überschätzen die Kerle ganz oft ihre Standfestigkeit vor einer Kamera, das ist denn doch etwas anderes als daheim im Schlafzimmer." Eine junge Frau bleibt stehen und überfliegt den Anmeldebogen. Größe, Gewicht, Oberweite, so weit alles klar. "Hmm, sexuelle Vorlieben, was heißt denn da DP?" rätselt sie. "Das steht für Double Penetration. Das würde ich ankreuzen, verbessert die Chancen gebucht zu werden", erklärt ihr Kerstin. Aber da ist die junge Frau auch schon wieder verschwunden.

Auf derartige Bewegungsfreiheit muss Kaya (*) gänzlich verzichten, sie liegt zum x-ten Mal am heutigen Tag gefesselt auf dem Boden. Im Fetischbereich der Venus wird sie von Bondage-Master Holger etwa im Halbstundentakt fachmännisch verschnürt. Er gibt ihr ein paar Klapse auf das Hinterteil, "Spanking" ´nennt man das wohl. Holger gehört zu der Firma Saga, die nicht nur Seile, Handschellen und Lederaccessoires verkauft, sondern auch Einführungskurse für Einsteiger anbietet: "Die Verletzungsgefahr bei privaten Fesselspielen ist relativ hoch, man sollte sich da schon ein wenig auskennen", meint Holger. Kaya ist inzwischen wieder ausgepackt und fällt ihrem Meister erschöpft und glücklich in die Arme. Der dunklen Venus machen die Strapazen überhaupt nichts aus, im Gegenteil, sie genießt es. "Nur wenn ich voll und ganz verschnürt bin, fühle ich mich so richtig frei", schwärmt sie und rollt mit verklärtem Blick die Augen.

Das Weingut Pallhuber will nicht so recht auf die Venus passen. Vielleicht, weil nicht jedem klar wird, was ein Weingut auf einer Erotikmesse verloren hat, vielleicht aber auch nur, weil an diesem Stand alle angezogen sind. Zu tief schon steckt der Besucher in der Welt der Freikörperkultur. Nichtsdestotrotz lädt das pallhubersche Personal die Vorüberströmenden zur Weinprobe.

Auch Günter kommt vorbei und beäugt den adrett gekleideten Herren misstrauisch. Allerdings gehört er nicht zu den Leuten, die einen Gratis-Tropfen ungetrunken stehen lassen würden. "Sex und Wein, das passt doch zusammen", versucht der Weinschenk vergeblich, mit ihm ins Gespräch zu kommen, schenkt dann lieber gleich ein. Günter stürzt das fingerhutgroße Glas hinunter und verzieht das Gesicht. "Aah, ja, nicht so, probieren sie doch mal den hier, das ist ein australischer Shiraz." Günter blickt ihn aus leeren Augen an und trinkt auch dieses Glas in einem Zug. Dann verabschiedet er sich wortkarg, er will jetzt ein Bier.

Augen zu und weg!

Ein paar Stände weiter verschlägt es Michael und Daniel die Sprache: Mitten auf der Messe, in aller Öffentlichkeit, wird zur Intimrasur geladen. Ein neues Rasurgerät soll vorgestellt werden. Die Szene ist bizarr: Breitbeinig sitzt ein Modell unten ohne da, trägt nur helle, hohe Lackstiefel und ein T-Shirt, das unterhalb der Brust zusammengeknotet ist. Ein dicker Mann mit grauem Haar und großen Händen schabt mit einer Art Skalpell über ihre Unterschenkel, arbeitet sich langsam hoch. Dann kommt das neue Gerät zum Einsatz, mit ruhiger Hand führt er es über ihren Schambereich. "Pussy-Shaver" steht auf seinem T-Shirt, darunter eine Katze, die mit einem Auge zwinkert. Augen zu und weg heißt es für Michael und Daniel, die Enthaarungsprozedur war zuviel des Guten, sie wollen jetzt nur noch nach Hause. Viele der umstehenden Männer sind da weniger zart besaitet, zoomen mit ihren Kameras direkt auf das enthaarte Genital. Intimrasur ad absurdum.

Auf dem Heimweg sitzen Michael und Daniel erschöpft in der U-Bahn, drücken ihre Tüten an sich. Die Venus hat sie überflutet mit all ihren echten und vermeintlichen Reizen. Gekauft haben sie nichts, aber sie haben Unmengen bunter Flyer eingesteckt, dazu noch eine Gratis-DVD und ein paar Kondome ergattern können. Sie wissen noch nicht, wie sie die brisante Fracht an Muttern vorbei schleusen sollen. Aber das sind die Sorgen von nachher.

Der heutige Tag lässt sie erahnen, dass sie an einem bedeutendem Punkt in ihrem Leben angekommen sind: Sie sind dabei, Männer zu werden. So oder so. Vermutlich werden sie in Zukunft Bier trinken, zu schnell Auto fahren und sich permanent durchs Abendprogramm zappen. Vielleicht werden sie auch mal eine Goldkette tragen und Vollerotikfilme schauen, und wer weiß, möglicherweise klagt tatsächlich irgendwann einmal einer von ihnen über Potenzprobleme im Rampenlicht. Vielleicht finden sie aber auch einfach nur bald eine Freundin.

<em>* Name von der Redaktion geändert</em>