Ein Bild und seine Geschichte Von der Karibik in die Adria

Von Philipp Gülland
Angefangen hat Peter Marlow als Hochstapler: Mit einem geborgten Portfolio ergaunerte sich einen Job als Kreuzfahrtfotograf in der Karibik. Heute ist er einer der angesehensten Fotojournalisten weltweit. 1999 geht er wieder auf Kreuzfahrt, an Bord eines US-Flugzeugträgers in der Adria.

"Fotografie gibt mir eine Entschuldigung, da zu sein - da wo ich sein will." Erklärt Peter Marlow seine Liebe zum Beruf und fügt hinzu:" Als Fotograf ist man sehr privilegiert. Ein paar Mal jedes Jahr wache ich morgens ganz aufgeregt auf und freue mich auf das, was ich an dem Tag tun werde." Im Mai 1999 gibt ihm sein Beruf die Entschuldigung, eine schwimmende Parallelwelt zu erforschen: 250 Meter lang, 32 Meter breit und 40.300 Tonnen schwer, kreuzt die USS Kearsage in der Adria. An Bord 1200 Mann Besatzung - und Peter Marlow. Grund des Einsatzes ist das Eingreifen der Nato im Kosovo, mit seinem Hightech-Arsenal und harter Gangart will das Militärbündnis - geführt von den USA - den blutigen Konflikt um die kleine Provinz beenden.

Der richtige Ort, der andere Blick und Hartnäckigkeit

"Um Nachrichten zu fotografieren, muss man am richtigen Ort sein" Sagt Marlow gerne und meint damit das Gespür für die tragenden Aspekte jeder Geschichte und ihre Umsetzung in klare Bilder. Dabei bezeichnet der Fotojournalist seinen Ansatz als "relativ theoretisch", aber für ihn hat das akribische Einarbeiten und Planen immer gut funktioniert - seine Kunden kennen Marlow als den Fotografen, der immer das Bild mitbringt, eben weil er seine Geschichten pedantisch und hartnäckig erarbeitet. Bei aller Pedanterie bewahrt Marlow sich den "anderen Blick": Er steht selten da, wo Andere stehen, er arbeitet auch nicht wie Andere.

Marlows Bilder sind klar, aber zugleich spleenig - irgendwie britisch. Das zeigt sich deutlich in seinem Essay über die US-Flotte in der Adria. Lange nachdem der Medien-Pulk wieder abgereist ist, schifft sich der Fotoreporter auf der USS Kearsage ein und kann ungestört fotografieren - frei, denn es fand sich kein Auftraggeber: "Nein, viel zu spät, kein Interesse" ist die Antwort aller Tageszeitungen und Magazine, denen Peter Marlow die Geschichte anbietet. Die Medien konzentrieren sich auf die menschliche Dimension der Tragödie Kosovo. Doch der Brite will die "anderen Bilder" und macht sich an die Arbeit. Wo seine Kollegen auf - oft digitale - Spiegelreflexen der großen Hersteller setzen, vertraut Marlow auf eine Mamyia Meßsucherkamera für Mittelformat-Rollfilme, mit dieser "großen Leica" und ein paar Festbrennweiten fotografiert er quadratische Bilder auf Schwarzweißfilm.

Bilder aus dem Bauch

Das Spleenige, das Verspielte ist es, dass Marlows Reportage eine ganz besondere Qualität verleiht. Während Infrarotvideos der Lenkbomben durch die Fernsehnachrichten flimmern, liefert er Bilder aus dem Bauch der Hightech-Maschinerie und gibt dem sterilen Feldzug so ein greifbares Gesicht. Ein solches Bild aus dem Bauch ist auch das des bügelnden Marines: tief in den Eingeweiden des riesigen Schiffes steht ein durchtrainierter Mann Anfang zwanzig und hält beim Bügeln seiner Uniform für einen kurzen Blick in die Kamera inne - die Haare kurz geschoren, bekleidet nur mit Boxershorts und einer Erkennungsmarke, auf den linken Oberarm sind eine Bulldogge und die Buchstaben USMC tätowiert. Der Augenkontakt macht das Bild intim, die relative Nacktheit des Soldaten lässt ihn zugleich verletzlich wirken, die Hausarbeit macht ihn zutiefst menschlich.

Intuitiv kommt diese Aufnahme daher, ohne Schnörkel und Effekthascherei teilt sie mit: Das Arsenal ist vielleicht Hightech, aber hinter all den Jets, Bomben und Raketen stehen Menschen wie Du und ich. Eine Botschaft, die das Bild ohne Worte kommuniziert - ein Bild, in jeder Hinsicht aus dem Bauch und für den Bauch. Auf seine Intuition zu hören, sollte sich lohnen. Kaum ist Marlow zurück in England und hat seine Filme entwickelt, zeigt sich das Sunday Times Magazine interessiert: "Sie liebten es. Ich bekam 10 Seiten und durfte bestimmen, wie die Bilder präsentiert werden sollten. Das war besser, als ein Auftrag."