Jagoda Marinić Stachel-Engel

Ein wenig mehr Kindness würde den Deutschen gut zu Gesicht stehen
Ein wenig mehr Kindness würde den Deutschen gut zu Gesicht stehen
© Illustration: Lennart Gäbel / stern
Zu Weihnachten wünscht sich unsere Kolumnistin mehr Freundlichkeit im Alltag, verdammt noch mal!

Kill them with kindness, das war einer der Sätze, die ich mir aus meinem Jahr in den USA mitbrachte. Nicht mosern, wenn alle nerven, nicht zurückkeifen, sondern stimmlich in die sanfteste Tonlage wechseln. Schlecht gelaunten Leuten das Glück der anderen vorsetzen – auf dass sie an ihrer eigenen Übellaunigkeit zugrunde gehen! Nun gut, diesen letzten Satz hätte ich mir jetzt sparen müssen. Er war nicht kind, eher so aggressiv, wie der Alltag in Deutschland so ist. Jeder tut hier so, als wäre der andere nur auf die Welt gekommen, um ihn zu stören.

Freundlichkeit tut nicht weh

In deutschen Städten ist die Ruppigkeit oft so ausgeprägt, dass ich mich selbst oft in ein Stachelschwein verwandle. Manchmal wäre ich sekundenweise gern sogar ein Stinktier, damit auch wirklich keiner dieser Miesgelaunten näher kommt. Ich will in Engelszungen reden, vor allem, wenn ich aus anderen Städten Europas komme, in denen ich erlebt habe, dass an Freundlichkeit niemand stirbt. Wer hat den Deutschen beigebracht, der Freundliche sei der Dumme? Manche Idioten setzen Freundlichkeit sogar mit Inkompetenz gleich, weshalb kaum etwas so zäh ist wie ein deutsches Meeting, in dem alle zeigen wollen, dass sie zu beschäftigt sind, um noch freundlich zu sein. Statt zu denken: Es ist die Millisekunde Menschlichkeit, die uns morgen die Tür öffnen könnte, auch beruflich.

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

Das Wort kindness lässt sich nur schwer ins Deutsche übersetzen. Kindness will dem Gegenüber den Tag aufhellen, ihn in dieser Scheißwelt spüren lassen, dass wir einander als bedürftige Menschen sehen.

Miteinander statt Konfrontation

Vielleicht kann ich in meiner Kolumne zu Weihnachten für einen Moment von Engelszungen träumen, ohne in der Schlagerparade zu landen. Ich will hier auch nicht durchmotzen, was ich natürlich superdeutsch könnte. Ich möchte mit Engelszungen fragen: Ist es so schwierig, statt den Stress immer bei anderen auszukotzen, kurz innezuhalten, zu fragen, ob der andere nicht auch zu viel hat im Moment? Stress wird nicht weniger, wenn man ihn addiert. Ließe sich stattdessen ein gemeinsamer Moment schaffen, der den Druck nicht nur weitergibt, nicht nur den Hunger nach Anerkennung der eigenen Leistungen stillt? Ein Moment zärtlicher Zugewandtheit?

Dieser raue Ton, den wir oft anschlagen, in der Politik und im Alltag! Alle fahren die Ellbogen aus, selbst gegen Kinder und die Ärmsten. Wie viel schlechte Laune muss ein Land ertragen? Als ich kürzlich am Bahnhof einer mittelgroßen Stadt zur S-Bahn wollte, war das Gleis – Deutschlandticket und schlechter Infrastruktur sei Dank – so überfüllt, dass die Menschen auf der Rolltreppe sich oben fast aufeinandertürmten. Alle schrien sich an: „Zur Seite!“ Nur: Wohin? Neben mir eine junge Mama mit Baby im Tragetuch, auf die niemand achtgab. Halleluja, dachte ich, kindness hört hier eh keiner, also schrie auch ich die Leute aus dem Weg. Dieser Egoismus, als wäre alles ein Gegeneinander! Dabei ist alles ein Miteinander, ganz gleich wie wölfisch solitär wir zu sein meinen.

Cariño – "Liebes" oder "Zärtliche" – sagen Spanier oft zu mir, auch Fremde, etwa weil ich sie lieb ansehe, während ich mir Kaffee bestelle. Vielleicht schaue ich sie so an, weil ich ihre Freundlichkeit vorfreudig erwarte. Vielleicht sprechen sie so zärtlich mit mir, weil ich das auch tue. Wie das wohl wäre? Alltäglich mehr Schönes von den anderen zu erwarten – und sich den Hintern aufzureißen, damit man gibt, was man zu kriegen wünscht. Vor allem in diesen grauen Wintern.