Es sind noch zweieinhalb Wochen bis Weihnachten. Was, zweieinhalb Wochen?! Falls Sie jetzt vom Stuhl fallen, muss ich sagen: ich auch. Denn wie soll alles, was noch zu überlegen, organisieren und besorgen ist, in diese kurze Zeit passen?
Meine Liste der dringendsten Fragen: Was wäre das passende Dessert nach dem Wildragout an Heiligabend, Schokoladen-Birnen-Kuchen oder besser was Frisches wie flambierte Ananas? Was schenke ich meinen Schwiegereltern, was unserem Babysitter und was meinem 20-jährigen Stiefsohn, vielleicht Kosmetik? Als wir neulich telefonierten, stand er im Bad und legte eine Haar-Maske auf, was mich zu der Frage bringt: Was, um Himmels willen, ist bloß mit den heutigen Zwanzigjährigen los?! Zum Glück kann diese Frage bis nach Weihnachten warten.
Das Gefühl der Woche: Besinnlichkeitsstress
Nicht warten hingegen können: das Weihnachtsbasteln in der Schule, das Lernen für die letzten Klassenarbeiten, die Weihnachtsfeier mit den Kollegen, die zweite Weihnachtsfeier mit den Kollegen, die nette Einladung meiner Nachbarin, sich auf einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen. Und wieso haben wir immer noch keinen Adventskranz?
Parallel dazu läuft der Job weiter und wird noch mal richtig anstrengend, denn in vielen Betrieben muss vorgearbeitet, zugleich aber auch der Jahresurlaub vollständig abgebaut werden. Beides geht nicht, möchte man allen Chefs zurufen, aber mit Logik kommt man vor Weihnachten nicht weiter. Wie sonst wäre es zu erklären, dass wir uns in diesen Tagen besinnlich auf das Fest der Liebe einstellen wollen, uns damit aber irrsinnig unter Druck setzen? "Oh, du stressige …!" Muss das sein?
Muss nicht, sagt das Psychologen-Duo Stefanie Stahl und Lukas Klaschinski. "Diese hohen Erwartungen – an den geschmückten Baum, das Essen und die Geschenke, die allesamt perfekt sein sollen – sind eigentlich nicht notwendig für das Bedürfnis, das dahintersteht", sagt Klaschinski. Denn was wir uns an Weihnachten am meisten wünschen, sind Nähe, Geborgenheit, Lachen und Angelacht werden, kurz: frohe Momente. Und die können wir auch ohne Riesenaufwand bekommen, so Klaschinski: "Mir hilft dabei die Überlegung: Wenn ich in meinem Leben genau diese Momente von Geborgenheit, Zusammenkunft, von Ruhe und Gelassenheit hatte, waren die immer mit großartiger Planung und einem perfekten Setup verbunden?"
Mein jüngster Sohn macht es richtig, scheint mir. Als in seiner Grundschule die Rollen für das Weihnachtsstück verteilt wurden, wählte er den Dachs. Der Dachs führt die Tiere durch den Wald, beißt Schneisen durchs Unterholz, hebt Jungtiere aus ihren Nestern – und spricht dabei kein Wort. "Bloß keine Sprechrolle, Mama", sagt mein Sohn, "damit hat man nur Stress." Keine Sprechrolle! Das ist auch ein guter Rat an alle, die sich vor gewissen Gesprächen unterm Weihnachtsbaum fürchten. Da liegen ja Themen bei vielen Familien, die besser nicht ausgepackt werden, von AfD bis Zorn-wegen-des-Erbes.
Zum Schluss noch ein Mittel gegen Besinnlichkeitsstress von meiner Kollegin Frieda Cossham. Als sie im Scherz zu ihrem 90-jährigen Vermieter Hans sagte, sie hätte am 24. Dezember Zeit, nahm der sie beim Wort – und so feierte sie mit drei fremden Senioren Weihnachten.
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Friedas Offenheit wurde belohnt: "Wir erzählen einander, welches Fest wir nie vergessen werden, weil es besonders schlimm oder besonders schön war. Manchmal auch schönschlimm", schreibt Frieda. "Hans erinnert sich an eine Kriegsnacht mit Phosphorbomben, an ihr gleißendes Licht. Sigrid fallen die Carepakete der Amerikaner ein, und mein Freund, der auch dabei ist, sieht seine Mutter weinen am ersten Weihnachtsfest nach einer überstandenen Krebserkrankung. Nah sind wir uns, so nah wie sich nur Wahlverwandte kommen können, für Minuten oder auch Stunden."
Nicht nur Frieda hat am 24. Dezember Zeit. Eigentlich haben wir da alle Zeit. Nutzen wir sie! Für uns und für die anderen. Den Stress bis dahin können wir uns schenken.
Der Sticker der Woche
Dieser hier klebt an einer Bushaltestelle in Hamburg-Altona und spricht die autoritäre Sprache einer Weltmacht – Liebe.