Kita-Krise Brief eines Vaters: "Frau Ministerin, Sie enttäuschen mich auf ganzer Linie"

Kita: Alex Liefermann, 41, mit seinem fünfjährigen Sohn Liam Luca
Alex Liefermann, 41, mit seinem fünfjährigen Sohn Liam Luca. Die Kita spiele eine entscheidende Rolle, wenn es um die Entwicklung unserer Kinder gehe, meint der zweifache Vater
© Alex Liefermann
Der zweifache Vater Alex Liefermann, 41, aus Düsseldorf, kämpft für eine bessere Betreuung in Kitas in NRW. Nun hat er Familienministerin Josefine Paul einen Brief geschrieben. 

Alex Liefermann, 41, hat zwei Söhne, 15 und fünf Jahre alt, und engagiert sich neben seinem Hauptberuf als Künstlerbetreuer auch als Elternvertreter in der Kita der AWO seines Sohnes in Düsseldorf. Seit zwei Jahren kämpft er gegen den Kita-Notstand. Gehör findet er kaum. Nun hat die nordrhein-westfälische Familienministerin Josefine Paul eine neue Personalverordnung mit auf den Weg gebracht, die vorsieht, dass im Notfall eine Fachkraft 60 Kinder betreut. Nachdem sie dem stern ein Interview gegeben hat, fühlte sich Alex Liefermann dazu veranlasst, ihr einen Brief zu schreiben.  

Frau Ministerin Josefine Paul, Sie enttäuschen mich auf ganzer Linie. Hat sich eigentlich jemand gefragt, was diese neue Kita-Personalverordnung für unsere Kinder bedeutet? Wie es ihnen dabei geht? Und wie soll eine Erzieherin oder ein Erzieher unter diesen Bedingungen arbeiten? Als Vater macht mich das wütend, enttäuscht und einfach nur fassungslos.

Es ist schlichtweg untragbar, was da beschlossen wurde. Laut der neuen Regelung soll es im akuten Personalnotstand möglich sein, dass eine einzige pädagogische Fachkraft für bis zu 60 Kinder verantwortlich ist – unterstützt von zwei Ergänzungskräften. Das mag als "Notlösung" verkauft werden, aber für mich ist das kein Kompromiss, sondern eine Bankrotterklärung. Es geht hier nicht um Qualität oder das Wohl der Kinder, sondern nur darum, die Kitas irgendwie offenzuhalten, egal wie.

Unsere Kinder verdienen einen Ort, an dem sie nicht nur betreut, sondern gefördert und individuell begleitet werden. Unter diesen Bedingungen ist das jedoch nicht mehr möglich. Stattdessen wird die Kita zu einer reinen "Verwahrstation". Die pädagogische Qualität wird zwangsläufig massiv leiden, und unsere Kinder zahlen den Preis. Vertrauen, Sicherheit und stabile Bindungen, die für die Entwicklung so wichtig sind, können unter solchen Umständen kaum entstehen.

Ich möchte, dass mein Kind von festen Bezugspersonen betreut wird, die es kennt und denen es vertraut. Wenn mein Kind jedoch jeden Tag von neuen, wechselnden Betreuungskräften betreut wird, kann keine Bindung entstehen, und dann bleibe ich lieber zu Hause, anstatt es einfach 'geparkt' zu wissen. Es ist traurig, aber unter solchen Bedingungen kann ich nicht mehr arbeiten, weil ich das weder will noch verantworten kann.

Die Erzieherinnen werden verheizt

Ich habe großen Respekt vor den Erzieherinnen und Erziehern, die täglich für unsere Kinder da sind. Doch diese Regelung zeigt, wie wenig ihre Arbeit geschätzt wird. Eine Person soll plötzlich für bis zu 60 Kinder zuständig sein, und gleichzeitig auch noch Ergänzungskräfte anleiten? Das ist eine Zumutung und fast schon zynisch. Mehr Burnout-Potenzial geht nicht. Es wäre kein Wunder, wenn auch die letzten motivierten Fachkräfte in die Knie gehen und sich krankmelden.

Zur Einordnung: Als Qualitätsstandard für den Personalschlüssel schlägt die Bertelsmann-Stiftung bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren den Wert 1:3 sowie für die Altersgruppe der Kindergartenkinder (ab drei Jahren bis zur Einschulung) den Wert 1:8 vor. Die neue Personalverordnung würde diesen Personalschlüssel bei Personalnot vervielfachen. Die neue NRW-Personalverordnung ist in dieser Hinsicht nicht pragmatisch, sondern fahrlässig.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Schon jetzt herrscht ein massiver Fachkräftemangel in den Kitas, und die neue Regelung wird diesen nur verschärfen. Warum sollte sich jemand für einen Beruf entscheiden, bei dem man von vornherein weiß, dass man irgendwann unter solchen Bedingungen arbeiten muss? Für mich ist klar: Mit solchen Rahmenbedingungen wird die Politik kaum Nachwuchs gewinnen. Im Gegenteil, sie wird Fachkräfte verlieren.

Die Verantwortlichen scheinen nach dem Motto zu handeln: "Lieber schlecht betreut, als gar nicht." Doch das ist keine Lösung. Als Vater ist das für mich ein klares Signal, dass die Bedürfnisse unserer Kinder und Familien keine Priorität haben. Es geht hier um Menschenwürde und Respekt, und beides sehe ich in dieser Verordnung nicht.

Die Kita spielt eine entscheidende Rolle

Unsere erste und wichtigste Verantwortung gilt unseren Kindern. Als ich Vater wurde, habe ich erkannt, dass Elternsein mehr bedeutet, als nur für das körperliche Wohl der Kinder zu sorgen. Es geht darum, sie mit Liebe, Werten und Bildung zu stärken.



Der Kindergarten spielt dabei eine entscheidende Rolle. Er ist der Grundstein für die ganzheitliche Entwicklung unserer Kinder. Hier lernen sie nicht nur Sprache, kognitive Fähigkeiten und soziale Kompetenzen, sondern auch Werte wie Empathie, Verantwortung und Zusammenarbeit. Kitas schaffen Integration und Chancengleichheit und geben allen Kindern – unabhängig von ihrer Herkunft – die Möglichkeit, sich bestmöglich zu entwickeln.

Statt Lösungen zu bieten, verschärft die Politik die ohnehin angespannte Lage. Eltern, Kinder und Erzieherinnen stehen unter wachsendem Druck, während die wahren Bedürfnisse von Familien und Bildungseinrichtungen ignoriert werden. Das System, das eigentlich stützen und fördern sollte, zerreibt nun alle Beteiligten.

Frau Paul, Sie zeigen weder Mut noch die Durchsetzungsfähigkeit, um langfristige Lösungen umzusetzen. Stattdessen setzen sie auf kurzfristige Maßnahmen, die keine echten Lösungen darstellen. Das ist keine Politik mit klarem Kompass, sondern eine gefährliche Illusion. Was wir brauchen, sind nachhaltige Lösungen und ein grundlegendes Aufräumen von A bis Z. Unsere Kinder und die Fachkräfte verdienen mehr als dieses kaputte System. Deswegen werde ich weiterkämpfen, denn Aufgeben ist keine Option.