CSD Queerer Aktivist über Rainbowwashing: "Es ist unsere Aufgabe, den Unternehmen eine Hilfestellung zu geben"

CSD-Parade in Berlin
Aktivist und Unternehmer Pavlo Stroblja sieht die Pride-Paraden als Schlüsselmaßnahmen für die Sichtbarkeit queerer Menschen. Auch Unternehmen spielen dabei eine wichtig Rolle – wenn sie sich ernsthaft für die LGBTQIA+-Community einsetzen.
© ZUMA Wire / Imago Images
Es sind oft die großen Unternehmen, die mit eigenen Trucks über den CSD fahren. Kleinere, gemeinnützige Organisationen gehen dagegen unter. Aktivist Pavlo Stroblja fordert mehr Vernetzung und einen Dialog zwischen beiden Seiten – und Maßnahmen gegen sogenanntes Rainbowwashing.

Laute Musik, schillernde Outfits und eine Parade mit Party-Stimmung. Die Christopher Street Days (CSDs) sind das Highlight der Pride-Saison. Die Demonstrationen für die Rechte der queeren Community finden mittlerweile in zahlreichen Städten Deutschlands statt und erfahren jährlich mehr Zulauf. Im gleichen Zuge wächst jedoch auch die Kritik an den Feierlichkeiten. Sie seien oftmals nicht mehr politisch genug und unterwandert von Unternehmen, die sogenanntes Rainbowwashing betreiben, sprich: Unternehmen, die sich mit der Regenbogen-Flagge als queer-freundlich vermarkten, in der Realität die LGBTQIA+-Community aber nicht wirklich unterstützen.

Aktivist über Rainbowwashing auf dem CSD

"Privatunternehmen sehen in den öffentlichen Paraden häufig eine Plattform für kommerziell motivierte Eigenwerbung und Image-Optimierung", kritisiert Queermentor-Gründer Pavlo Stroblja in einem offenen Brief an die CDS-Veranstalter:innen in Deutschland. Die gemeinnützige Organisation des 42-Jährigen vermittelt Mitgliedern der LGBTQIA+-Community Mentoren fürs Berufsleben und den Alltag. Das Schreiben, das Pavlo Stroblja Ende September veröffentlich hat, soll "sicherstellen, dass die Beteiligung von Unternehmen an den CSDs zur Stärkung unserer Community beiträgt".

Er wolle einen Impuls geben für einen offenen Dialog zwischen Unternehmen und gemeinnützigen LGBTQIA+-Organisationen, sagt er im Gespräch mit dem stern. "Für mich ist der CSD ein Ort, an dem verschiedene Menschen und Organisationen zusammenkommen, wo der Austausch stattfindet und damit auch Bereicherung." Um den Austausch nachhaltig – auch über die Pride hinaus – aufrechtzuerhalten, schlägt der Queermentor-Gründer in dem offenen Brief bestimmte Richtlinien für Unternehmen vor, die mit Trucks am CSD teilnehmen wollen. Nach einem kurzen Kennenlernen steigen wir im Gespräch auf das "Du" um. 

Warst du dieses Jahr selbst auf einem CSD-Event? Wie waren deine Eindrücke?
Wir waren mit Queermentor auf zwei CSDs in Köln und Berlin, jeweils mit unseren Kooperationspartner:innen. Das war für mich das erste Mal, dass ich auf einem Wagen mitgefahren bin, sonst war ich nur Besucher auf der Straße. Auf einem Wagen zu sein, ist eine andere Erfahrung und hat dazu geführt, dass der offene Brief entstanden ist.

Was waren das konkret für ein Erfahrungen?
Wir haben zum Beispiel kein Werbe-Budget, weil wir nicht gefördert, sondern aus Spenden finanziert werden. Dadurch, dass wir Support von Unternehmen bekommen, kriegen wir mehr Sichtbarkeit und Reichweite. Wir haben unter anderem eine Kooperation mit Hays, das ist ein Programm, bei dem junge queere Menschen bei der Jobsuche unterstützt werden. Bei denen durften wir auf dem Wagen mitfahren, das war dann auch gekennzeichnet mit unserem Namen und unserem Logo. Diese Erfahrungen waren sehr positiv. 

"We care about your pronouns", steht auf einem Plakat auf der CSD-Parade in Köln
Der CSD ist für Queermentor-Gründer Pavlo Stroblja sowohl eine politische Demonstration als auch auch eine Feier der eigenen Identität: "Das schließt sich für mich nicht gegenseitig aus."
© Political-Moments / Imago Images

Mittlerweile nehmen auch viele große Unternehmen an den Pride-Paraden teil. Ihnen wird oft Rainbowwashing vorgeworfen, ein Kritikpunkt, auf den auch der offene Brief aufmerksam macht. Ist es nicht erst einmal gut, wenn Unternehmen Flagge zeigen?
Rainbowwashing ist kein neues Problem ist. Es gibt viele Marken, die sich für die queere Community präsentieren, die sich aber nicht nachhaltig für die Community einsetzen. Es ist sehr wichtig, den Unternehmen das vor Augen zu führen. Viele haben nicht die Expertise und das Verständnis für die queere Community. Es ist ein Stück weit unsere Aufgabe, ihnen klarer zu machen, wie sie sich engagieren und Barrieren abbauen können. Wenn man eine gemeinnützige Organisation für die queere Community gründet, kommt man nicht darum herum, sich tiefer mit dem Thema auseinanderzusetzen. Vor allem, wenn es darum geht, die Kooperationspartner besser kennenzulernen. Zu wissen, woraus deren interne Kultur besteht. Es ist nur authentisch, mit einem Logo in Regenbogen-Farben zu werben, wenn man auch im Laufe des restlichen Jahres Maßnahmen für die queere Community durchführt. 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Inwiefern bedroht Rainbowwashing "den Geist und Charakter der wichtigen Proteste", wie du es in dem Brief formulierst?
Auf vielen Ebenen. Unternehmen, die Rainbowwashing betreiben, präsentieren sich als LGBTQIA+-friendly. Gerade in Angesicht des Fachkräftemangels versuchen Unternehmen, nach außen inklusiv für viele Zielgruppen aufzutreten – es wird aber nicht immer nach Innen gelebt. Menschen aus der queeren Community erleben sehr oft Traumata in Bezug auf ihre Identität. Wenn eine Person, die auf der Jobsuche ist, sich bei einem Unternehmen bewirbt, dort anfängt zu arbeiten und eine Diskriminierung erfährt, kann das retraumatisierend sein. Wenn Rainbowwashing betrieben wird, verliert ein Unternehmen außerdem an Glaubwürdigkeit. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen: Die Konsument:innen und die queere Community erkundigt sich sehr genau über die Unternehmen, bei denen sie sich bewerben und über die Produkte, die sie kaufen. Niemand möchte etwas verkauft bekommen, was nicht echt ist.

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Wäre es eine bessere Lösung, wenn Unternehmen nicht an den CSDs teilnehmen dürften?
Der CSD ist für alle da. Es geht um den Kern von Pride, den Ursprung, der heutzutage oft nicht mehr bekannt ist. Viele Menschen wissen gar nicht, wie die Pride-Bewegung in den USA entstanden ist. Dass es ein Krawall war, der drei Tage ging. Ein Aufstand gegen die Polizei, die gewalttätig gegen die queere Community vorging. Die LGBTQIA+-Bewegung ist danach in verschiedene Länder übergeschwappt. Es ist wichtig, diese Bewegung am Leben zu halten. Wir haben als Community unterschiedliche Facette und Menschen, die ein Teil der Community sind. Ich bin ein weißer, schwuler Cis-Mann, der privilegierteste Teil dieser Community. Die CSD-Bewegung hingegen wurde angeführt von BIPoC trans*Menschen, die noch mehr Diskriminierung erfahren.

Deswegen ist der Zusammenhalt wichtig; diesen Schmelzpunkt zu schaffen und aufrecht zu halten. Queere Community und Mehrheitsgesellschaft, aber auch verschiede Organisationen, unabhängig davon, ob es ein Unternehmen oder ein Verein ist. Jede Organisation darf da Platz haben, denn Organisationen bestehen aus Menschen. Unternehmen per se auszuschließen, fände ich deshalb nicht richtig, sondern ihnen viel mehr eine Hilfestellung zu geben. Genau da setzt der Brief an.

Was genau forderst du in dem Schreiben und was sollen die Maßnahmen konkret bewirken?
Wichtig ist meines Erachtens nach, dass auf den CSD-Veranstaltungen mehr Trucks zu sehen sind, wo nicht nur das Unternehmen und die Marke zu präsent sind, sondern ein ganz klarer Bezug zur queeren Community geschaffen wird. Es gibt in Deutschland viele Organisationen wie Queermentor, die nicht gefördert werden. Die haben schlichtweg nicht die Ressourcen, um auf dem CSD mit einem eigenen Wagen zu fahren. Durch die Einladung von unseren Kooperationspartnern war es für uns selbst möglich, zu erleben, wie es ist und sichtbar zu werden.

Queermentor-Gründer Pavlo Stroblja
CSD ist für Pavlo Stroblja ein wichtiges Ereignis, das er mit einer besonderen Erinnerung verknüpft: "Weil ich mich durch das Community-Gefühl so bestärkt gefühlt habe, hat mein eigenes Coming Out unmittelbar nach einem CSD stattgefunden."
© E. Remo

Und wir haben in beiden Fällen eine Spende von den Kooperationspartnern bekommen. Basierend auf diesen Erfahrungen war mein Anliegen mit dem offenen Brief, die CSD-Veranstalter:innen ein Stück weit in die Pflicht zu nehmen. Ich weiß, dass viele CSDs die Unternehmen bereits prüfen, bevor sie zugelassen werden und bei der Demo mitfahren dürfen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass wir noch mehr Spielraum haben, was die Vernetzung zwischen den Unternehmen – der Corporate Welt – und der Welt der gemeinnützigen Organisationen angeht.

Deshalb ist auch die Patenschaft so wichtig, die du in dem Brief forderst: "Jedes Unternehmen, welches Teil eines CSDs ist, soll eine Patenschaft für eine gemeinnützige LGBTQIA+-Organisation übernehmen."
Die Patenschaft ist für mich ein zentrales Thema. Wenn ein Unternehmen sich für eine lokale Organisation entscheidet und sich als Pate bekennt, ist es mir wichtig, dass auch da kein Rainbowwashing betrieben wird. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Organisationen zu Wort kommen und dass die Unternehmen und die CSDs sich für ein Gespräch öffnen. Der Brief soll die Grundlage für diesen Dialog anbieten. Ich habe versucht, die Forderungen so praktisch und realistisch wie möglich zu halten. Wenn ein großes Unternehmen ein Pride-Budget im fünfstelligen Bereich hat und davon zum Beispiel eine Spende in Höhe von 20 Prozent an eine Organisation fließt, kann das sehr viel bewirken.

Wo verläuft die Schwelle zwischen ehrlichem Interesse und Rainbowwashing? Wie kann man Rainbowwashing von echtem Engagement unterscheiden?
Rainbowwashing ist entstanden, weile viele Companys erkannt haben, dass LGBTQIA+ eine interessante und kaufkräftige Zielgruppe für sie ist. Bedeutet für mich im Klartext: Wenn ein Unternehmen nur darauf abzielt, bei solchen Werbemaßnahmen sein Produkt zu verkaufen und Profit zu machen, dann ist es reines Rainbowwashing. Wenn darüber hinaus eine Ansprache an die Community stattfindet und es auf vielen anderen Ebenen Verknüpfungspunkt gibt, ist es für mich ein Unternehmen, das sich authentisch engagiert.

Es gibt natürlich keine Anleitung, um Rainbowwashing zu umgehen. Der Ansatz gegen Rainbowwashing ist ein struktureller. Es muss auf vielen Ebenen über einen längeren Zeitraum angegangen werden. Am wichtigsten ist, dass jedes Unternehmen für sich selbst eine Strategie ausmacht. Deswegen ist einer der Punkte in dem offenen Brief das Manifest: Die Unternehmen sollen Grundsätze verfassen, die ihren Einsatz für die Rechte von LGBTQIA+-Menschen zum Ausdruck bringen. Ich würde mir wünschen, dass die Unternehmen dabei auf die Menschen aus der queeren Community zurückgreifen und mit Hilfe von ihnen dieses Manifest verfassen.

In manchen Städten gibt es bereits Maßnahmen, um gegen Rainbowwashing auf dem CDS vorzugehen. Zum Beispiel den alternativen CSD oder eine verpflichtende Selbstauskunft für Unternehmen, die vorher angeben müssen, inwiefern Sie sich tatsächlich für die Community einsetzen. Was hältst du von solchen Maßnahmen?
Ich finde die Maßnahmen gut und wichtig. Der offene Brief soll eine Ergänzung dazu sein. Ich finde es toll, dass viele CSDs bereits mit der Selbstauskunft arbeiten. Die Alternativ-CSDs finde ich auch super. Wir haben über 170 CSDs in Deutschland und jeder hat seinen eigenen Charakter. Ich freue mich sehr zu sehen, dass gerade in den letzten Jahren neue Formate umgesetzt werden. 

Je innovativer und experimentierfreudiger die CSDs, desto mehr profitieren alle Beteiligten und die Gesamtgesellschaft, auch in kleineren Gemeinden. Die Gemeinschaft, der Zusammenhalt und die Zugehörigkeit sind für die queere Community wichtig, weil wir sehr oft ausgeschlossen werden. Dass wir zusammenfinden und uns wohlfühlen können in unserer eigenen Haut ist bedeutsam, sowohl in einer Großstadt als auch in einem Dorf.