Es ist die größte Übernahme in der noch jungen Geschichte von Biontech: Für mehr als 400 Millionen Euro übernimmt der Mainzer Impfstoffhersteller die britische Firma Instadeep. Das haben die Unternehmen vor wenigen Tagen angekündigt. Das Kerngeschäft von Instadeep ist die Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI). Darunter versteht man Programme, die eigenständig Lösungen für Probleme finden, an denen ein gewöhnlicher Computer scheitert. Wofür ein Impfstoffhersteller künstliche Intelligenz benötigt, davon handelt die siebte Folge des Podcasts "Eine neue Medizin – die Biontech-Story".
Von Künstlicher Intelligenz wurde zuletzt häufig im Zusammenhang mit sogenannten Chatbots berichtet. Mittlerweile gelingt es Programmen wie ChatGPT, selbständig Texte in einer Qualität zu schreiben, so dass ein Mensch sie oft nur noch schwer als Werk eines Computers entlarven kann. Doch an KI wird auch für viele anderen Anwendungen geforscht – im Kern geht es immer darum, aus großen Datensammlungen korekte Schlüsse zu ziehen. Dazu gehört das Auffinden von Mustern im Datengewusel, wichtig zum Beispiel bei der automatischen Bilderkennung für selbstfahrende Autos. Ein anderer Bereich stellt die Entwicklung von neuen Wirkstoffen für Medikamente dar.
Krebs ist ein komplizierter Gegner
Gegründet wurde das Unternehmen Biontech im Jahr 2008 mit dem Ziel, individuelle Krebsimpfstoffe zu entwickeln, um damit Tumore zu behandeln. Schon damals arbeitete das Gründerpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci mit dem Botenmolekül mRNA als Grundlage für solche neuartigen Therapien. Beim Coronaimpfstoff kam die mRNA-Technologie Krebszellen sind allerdings ein viel komplexerer Gegner als Coronaviren. Das liegt daran, dass sich Krebszellen stark voneinander unterscheiden, zwischen verschiedenen Tumorarten, aber vor allem auch zwischen verschiedenen Patienten. Die Krebszellen von zwei Erkrankten sehen nie gleich aus, daher, so der naheliegende Gedanke, muss auch die Therapie maßgeschneidert sein.
Ein wirksamer Impfstoff muss dem Immunsystem beizubringen, was an einer Krebszelle fremd ist, was sie von einer gesunden Körperzelle unterscheidet. So soll das Immunsystem lernen, welche Zellen es angreifen soll und welche nicht. Noch ist kein Krebsimpfstoff auf dem Markt, obwohl seit Jahrzehnten daran geforscht wird. Das Vorhaben ist knifflig, weil Krebszellen – anders als Corona- oder Grippeviren oder transplantierte Organe – dem eigenen Körper entstammen. Für eine Krebsimpfung suchen Biontech und andere Firmen daher im Erbgut der Krebszellen von Patienten nach Merkmalen, die sie von gesunden Zellen unterscheiden. Das können zum Beispiel Genabschnitte für bestimmte Proteine auf der Oberflächen von Krebszellen sein. Diese Gensequenzen dienen dann als Grundlage für die mRNA-Impfung.
Ein großes Problem dabei ist, dass sich nicht alle Erbgut-Unterschiede zwischen Krebszellen und gesunden Zellen als Grundlage für einen Impfstoff eignen. Nicht alle diese Unterschiede führen jedoch zu Merkmalen, auf die das Immunsystem anspringt. Man muss, um in der Fachsprache zu bleiben, die passenden Mutationen auswählen. An dieser Stelle kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel: Indem diese mit Daten aus klinischen Studien und Genomdatenbanken gefüttert wird, können die Algorithmen möglichst vielversprechende Merkmale auswählen – ohne langwierige Versuche im Labor. Die Hoffnung: wirksame Krebsimpfstoffe zu entwickeln, die auf einzelne Patientinnen und Patienten zugeschnitten ist.
Wie bei der Wettervorhersage
Es kommt dabei auf die richtigen Algotrithmen an, aber auch auf die Datengrundlage. Je besser und zahlreicher die Daten, desto treffsicherer kann die künstliche Intelligenz ihre Vorhersagen treffen. Der Biontech-Gründer Uğur Şahin vergleicht es mit dem Fortschritt bei der Wettervorhersage. Die Wettervorhersage basiere heute eigentlich auf ähnlichen Algorithmen wie vor zehn Jahren, sagt Şahin im Podcast. "Aber die Datenlage ist so gut und die Rechenkapazität ist so stark, dass wir heute sehr viel genauer und präziser arbeiten können."
Biontech arbeitet schon seit mehreren Jahren mit Instadeep zusammen, der Kauf der KI-Firma mitsamt ihrem Know-How erscheint als ein logischer Schritt. Bis zum Jahr 2030 möchte Biontech nach eigener Aussage mehrere Tausend mit Krebstherapien aus eigener Entwicklung behandeln. "Im Frühstadium glaube ich, dass wir Krebserkrankungen besiegen können", sagt Şahin. "Da muss unsere Zielsetzung sein, dass wir, dass wir von 60, 70 auf 99 Prozent kommen." Bei ausgedehnten, fortgeschrittenen Tumoren müsse man dagegen realistisch bleiben. "Da geht es um zweistellige Milliardenzahlen von Tumorzellen, die alle unterschiedlich sind." Hier gehe es drum, durch das Zusammenspiel verschiedener Methoden dafür zu sorgen, "dass man den Tumor solange wie möglich kontrolliert".
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Das Team
Hosts: Tim Kleikamp und Lukas Sam Schreiber
Autoren: Tim Kleikamp, Martin Schlak und Lukas Sam Schreiber
Executive Producer: Isa von Heyl
Produktion und Schnitt: Vincent Oliva und Mingo Faas
Fact Checking: Quality Board von STERN und GEO.