Professor Sawicki, die Glitazone (Handelsnamen Actos, Avandia) gelten als besonders wirksame Medikamente zur Behandlung von Typ-2-Diabetes. In den vergangenen Monaten haben Sie an Ihrem Institut diese Wirkstoffgruppe ausführlich untersucht. Was ist das Ergebnis?
Wir kamen zu dem Schluss, dass wir Glitazone nicht ruhigen Gewissens empfehlen können. Der Nutzen dieser Medikamente ist fraglich, und die möglichen negativen Folgen sind häufig und erheblich.
Was können die Tabletten auslösen?
Vor allem steigt das Risiko für Herzversagen. Zudem lagert das Bindegewebe vermehrt Wasser ein, und der Patient nimmt zu. Bei Frauen kommt es außerdem häufiger zu Knochenbrüchen.
Also gab es nur negative Ergebnisse?
Die einzige positive Überraschung war der Effekt des Wirkstoffs Pioglitazon bei Diabetikern, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten. Bei dieser Gruppe können die Tabletten vermutlich das Risiko für einen weiteren Schlaganfall senken. Wir brauchten allerdings hier noch viel mehr Studien, um sicher zu sein.
Sie behandeln einmal pro Woche selbst Diabetes- Patienten in einer Praxis. Welche Konsequenzen haben diese Erkenntnisse für Ihre Arbeit als Arzt?
Da ändert sich gar nichts. Denn ich habe bislang kein einziges Rezept für diese Medikamente ausgestellt. Überhaupt stehen bei mir Tabletten bei der Diabetesbehandlung meist nicht im Vordergrund.
Warum?
Die Gabe von Medikamenten hat das Ziel, den Blutzucker zu senken. Das hilft jedoch nicht, die Hauptprobleme der Typ-2-Diabetiker wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Fußamputationen zu beseitigen. Bislang ist es leider misslungen, diese lebensgefährlichen Folgen durch eine Blutzuckersenkung zu verhindern. Wir wissen bisher schlichtweg nicht wirklich, warum Diabetiker häufiger einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen. Am hohen Blutzucker allein scheint es jedenfalls nicht zu liegen.
Werden den anderen Diabetologen nicht die Knie weich werden, wenn sie so etwas hören? Schließlich bläuen die meisten Ärzte ihren Diabetes- Patienten ein, die Zuckerwerte niedrig zu halten. Und seit Jahrzehnten werden blutzuckersenkende Medikamente zur Vorbeugung von lebensgefährlichen Komplikationen verschrieben.
Eigentlich liegen schon lange gute Studien vor, die zeigen, dass es für die Vorbeugung von Herzinfarkten und Schlaganfällen bei Diabetikern nichts bringt, den Blutzucker herunterzudrehen. Dass aber immer noch auf der Höhe des Blutzuckers herumgeritten und den Patienten damit gedroht wird, hat etwas mit Tradition in der Medizin zu tun: "Das haben wir schon immer so gemacht." Bei anderen Ärzten ist es ein Ausdruck von Verzweiflung: Denn sie haben noch keine richtige Lösung für dieses Problem gefunden. Dazu kommt: Ein niedergelassener Mediziner sieht seinen Patienten im Durchschnitt nur sieben Minuten. Da ist es der bequemste Weg, schnell Tabletten zu verschreiben - sowohl für den Arzt als auch für den Patienten. Ein ausführliches Gespräch über Lebensführung und Ernährungsgewohnheiten zum Beispiel ist in dieser Zeitspanne gar nicht möglich.
Was raten Sie denn Ihren Patienten?
Vor allem sollten sie abnehmen, selbst zwei bis drei Kilogramm machen schon viel aus. Sie sollten sich mehr bewegen: Treppen steigen, spazieren gehen. Eine gute Fußpflege ist auch wichtig - und mit dem Rauchen aufzuhören. Und wenn der Blutdruck zu hoch ist, muss er unbedingt behandelt werden.
Empfehlen Sie nie, den Blutzucker zu senken?
Doch, bei jüngeren Patienten zur Verhinderung von Nieren- und Augenschäden. Bei älteren Typ-2-Diabetikern dagegen nur, wenn sehr hohe Blutzucker-Werte vorliegen, sodass sie an Symptomen wie Müdigkeit, häufigem Wasserlassen, Juckreiz oder Pilzinfektionen leiden. Ich habe die eiserne Devise: Am besten ist es, wenn man den Patienten behandelt - und nicht den Blutzuckerwert.