Es waren einmal drei heilige Könige aus dem Morgenland auf dem Weg nach Jerusalem. Denn dort, in einem unscheinbaren Stall, war ein heiliges Kind geboren worden. Um es willkommen zu heißen, brachte jeder von ihnen eine Gabe – die wertvollsten Gegenstände, die sie besaßen: Weihrauch als Zeichen der Göttlichkeit, Gold als Zeichen der königlichen Würde und Myrrhe, ein Baumharz. Es soll für Jesus’ menschliche Verletzlichkeit stehen, aber auch für seine heilenden Kräfte.
Warum eigentlich? Und ist an der heilenden Kraft der Pflanze wirklich etwas dran?
Myrrhe ist an der Luft getrocknetes Gummiharz, bitter im Geschmack, süß im Duft. Gewonnen wird sie aus dem Stamm und den Ästen des "Commiphora myrrha", des Myrrhebaumes. Heimisch ist die Pflanze im Osten Afrikas und auf der Arabischen Halbinsel.
Wie alle pflanzlichen Arzneidrogen ist Myrrhe ein Vielstoffgemisch. Die Pflanze besteht zu 60 Prozent aus wasserlöslichen Gummistoffen. Für die medizinische Wirkung wichtig sind vor allem die restlichen 40 Prozent: alkohollösliche Harze und ätherische Öle.
Schon in der Antike wurde Myrrhe eine heilende Wirkung nachgesagt. Die alten Ägypter nutzten das Harz zur Einbalsamierung der Toten und als Räucherwerk in Tempeln. Es sollte dort desinfizieren, konservieren und einen süßen, schweren Duft verströmen. In der Bibel hat das Baumharz zahlreiche Auftritte, wird sogar als Betäubungsmittel eingesetzt: Jesus soll es vor seiner Kreuzigung trinken, um die Schmerzen zu lindern. Er lehnt ab.
Etwa 60 Jahre nach Christi Geburt empfahl der antike Arzt Dioskurides Myrrhe gegen Husten, Brustschmerzen, starken Durchfall, Heiserkeit und Mundgeruch.
Wichtige Heilpflanze
Ungefähr 1000 Jahre später beschrieb der berühmte persische Arzt Ibn Sina (in Europa als Avicenna bekannt) Myrrhe als eine der wichtigsten Heilpflanzen, besonders bei Magen- und Verdauungsbeschwerden. Das Harz habe eine öffnende und lösende Kraft bei Blähungen. Überlieferte Schriften aus dem 12. Jahrhundert widmen sich der Myrrhe gleich kapitelweise. Dort wird die Anwendung der Rinde bei Gelbsucht und Lähmung beschrieben, außerdem gegen Magenbeschwerden und Fieber empfohlen.
Immer wieder taucht Myrrhe in mittelalterlichen Kräuterbüchern auf; sie soll die Atemwege stärken, das Verdauungssystem, das Herz, die Schleimhäute und die Nerven. Sie soll gut für die Haare sein und Narben heilen. Ihre angebliche Wirkung: entzündungshemmend, blutstillend, wundheilungsfördernd, krampflösend, schmerzlindernd, antiseptisch.
Noch immer wird Myrrhe in der Medizin eingesetzt: in Kombi-Präparaten, Tinkturen, Salben und ätherischen Ölen. Vor wenigen Jahren erst erlebte sie im öffentlichen Ansehen sogar eine kleine Renaissance. Der Studienkreis "Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" in Würzburg wählte den Myrrhenbaum zur Arzneipflanze des Jahres 2021.
Klingt ein wenig hochgestochen? Vielleicht sogar nach Humbug? Aktuelle Forschung zeigt: Myrrhe ist tatsächlich mehr als ein Weihnachtsmärchen. Was die alten Weisen schon wussten, kann die moderne Wissenschaft zumindest teilweise bestätigen.
Myrrhe bei Magen-Darm-Beschwerden
In der modernen Medizin wird Myrrhe vor allem zur Behandlung von Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa, Morbus Crohn und dem Reizdarmsyndrom eingesetzt. Betroffene nehmen ein Kombipräparat aus Myrrhe, Kamille und Kaffeekohle ein. Dass es typische Symptome wie Durchfall, Bauchkrämpfe und Blähungen lindern kann, ist klinisch nachgewiesen. Bei der Behandlung von Colitis ulcerosa kann es Ruhephasen des Darms sogar vergleichbar gut aufrechterhalten wie der Wirkstoff Mesalazin, der standesgemäß in der Therapie eingesetzt wird, wie eine Studie zeigt.
Gegen leichte Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut können Myrrhe-Tinkturen helfen. Sie lassen sich aufs Zahnfleisch auftupfen oder gurgeln. Studien konnten eine antiseptische und schmerzlindernde Wirkung des Harzes nachweisen. Auf der Haut helfen Myrrhe-Salben etwa bei kleinen Wunden.
Myrrhe ist gut verträglich, auch in Langzeitanwendungen. In sehr hohen Dosen kann das Arzneimittel jedoch leberschädigend wirken und die Haut reizen. Wer Myrrhe länger einnehmen oder bei chronischen Beschwerden einsetzen möchte, sollte das mit einem Arzt oder einer Ärztin besprechen.
Quellen: Springer Nature, Universität Münster, NDR, epd,