Die schulterlangen Haare von Jamie B.* wellen sich an den Spitzen. Die junge trans* männliche Person trägt eine schmale Brille. Er lächelt sympathisch in die Kamera, während wir via Video-Call miteinander sprechen. Die kleine wuschelige Hündin Dobby sitzt auf seinem Schoß. Die Gefährtin blickt sich interessiert um. Jamie B. beschreibt, wie sich 2018 sein Leben verändert. Ein Radiobeitrag zum Geschlechtseintrag divers wurde zu einem Schlüsselmoment für den 27-Jährigen. Er kannte zwar vorher schon trans* Personen, war auch mit einem trans* Mann liiert, hatte sich aber nie damit auseinandergesetzt, dass er selbst trans* sein könnte. Erst der Beitrag im Radio, eröffnete ihm Berührungspunkte, zeigte ihm, dass es mehr als nur männlich, weiblich und trans* männlich gibt. "Ich habe auch eine Person kennengelernt, die sich als divers identifiziert. Es war für mich ein augenöffnender Moment, dass eine Transition nicht nur von A nach B geht, sondern ein ganzes Spektrum dazwischen ist und man auch auf einem Teil der Strecke stehen bleiben kann."
Die meisten würden unter Transidentität fälschlicherweise verstehen, dass sich jemand von einer Frau in einen trans*Mann verwandle und auch geschlechtsangleichende Operation vornehmen lasse. Doch so ist es nicht. "Ein trans* Mann ist ein Mann, sobald er sagt, dass er ein trans* Mann ist – ob und welche Eingriffe diese Person vornehmen lassen möchte, ist ihr überlassen." Anfang 2019 hatte Jamie sein Coming-Out als trans*. Er definiert sich aber nicht als männlich, sondern als nicht-binär. Eine Geschlechtsidentität also, die bedeutet weder ganz weiblich noch ganz männlich zu sein. Er entscheidet sich für eine Hormonbehandlung mit Testosteron, damit möchte er seinen Körper so modifizieren, dass er auch zu dem Körperbild passt, das er von sich hat. Mit dieser Entscheidung beginnt für Jamie B. ein beschwerlicher Weg, den trans* Personen auf sich nehmen müssen, wenn sie ihren Körper durch eine medizinische Transition verändern möchten.
Andere entscheiden über Jamies Körper
"Ich fühle mich im Gesundheitssystem schlecht aufgehoben und habe schon viele Diskriminierungserfahrungen gemacht. Es ist ein Problem, dass es sehr viele Gatekeeper*innen gibt, also Menschen, an denen ich vorbeikommen muss, um zu bekommen, was ich möchte. Sie dürfen Entscheidungen über mich treffen. Ich darf nicht über meinen eigenen Körper bestimmen und selbst sagen, was ich brauche, damit es mir gut geht." Um mit seiner Hormonbehandlung beginnen zu können, brauchte Jamie B. ein Indikationsschreiben einer/eines Psycholog*in. Doch die Suche nach einer trans* erfahrenen Praxis und Termine neben seiner damaligen Ausbildung, stellten für Jamie B. zu große Hürden dar. Er konnte sich durch lange Arbeitswege nicht vorstellen, auch noch eine Therapie zu machen. "Ich konnte schließlich bei einer Beratungsstelle Termine bekommen und so meine Indikation. Hätte es die Stelle nicht gegeben, hätte ich wahrscheinlich bis heute noch keine Hormonbehandlung begonnen oder hätte mir die Hormone auf anderem Wege besorgt."
Damit hätte Jamie B. ein hohes Risiko in Kauf genommen. Ein Hormontherapie ist nach Angaben der Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie ein massiver Eingriff. Der Verband warnt vor einer Eigentherapie mit Hormonen. "Unsachgemäß angewandt birgt sie deutliche Risiken für Körper und Seele. Dies können etwa Leberschäden, hormonempfindliche Tumoren oder psychische Erkrankungen wie Depressionen sein", heißt es in einer Mitteilung.
Einen Endokrinologen hat Jamie in Hamburg gefunden, doch für einen Besuch dort muss er zwei Stunden anreisen. Auf dem Land sei die Versorgung mit Fachärzt*innen schlecht und erst recht, für trans* Personen, die auf der Suche nach Mediziner*innen sind, die sich mit trans* Personen auskennen und sich die Behandlung zutrauen würden. Aus seiner Arbeit in einer Selbsthilfegruppe für nicht-binäre trans* Personen wisse er, dass Ärzt*innen sich die Behandlungen zum Teil nicht zutrauen und sie ablehnen.
Ein Gesundheitssystem, das auf zwei Geschlechter ausgelegt ist, ist für nicht-binäre Personen ein Problem
Doch neben der Hürde, überhaupt medizinische Hilfe zu bekommen, sieht Jamie B. ein strukturelles Problem im Gesundheitssystem: "Das Gesundheitssystem ist auf zwei Geschlechter ausgelegt. Mein Endokrinologe geht davon aus, dass ich eine 'komplette' vermännlichende Transition machen möchte. Dabei bin ich nicht-binär und strebe auch einen nicht-binären Körper an. Ich weiß von der Community, dass er kein Fachwissen über nicht-binäre Transitionsmöglichkeiten hat. Ich möchte es ihm gegenüber nicht thematisieren aus Angst, er könnte mir dann die Weiterbehandlung verweigern." Er informiere sich in der Community und lege die Dosis selbst fest. Er führt aus: "Es ist schon ein bisschen so als wäre ich mein eigenes Versuchskaninchen und würde mit meiner eigenen Gesundheit rumspielen." Doch die Entscheidung für die Hormonbehandlung stand fest. "Es ist wirklich aus einem sehr starken Leidensdruck entstanden für mich, wo ich sagte, ich brauche das, sonst schaffe ich das nicht."
Doch neben den großen Problemen seien es auch die vermeintlich kleinen Sachen, die dafür sorgen, dass sich Jamie B. in den Händen von Ärzt*innen und unserem Gesundheitssystem nicht gut aufgehoben fühlt. Auf seiner Krankenkassenkarte steht noch sein weiblicher Name, was dazu führt, dass er immer wieder mit einem falschen Namen angesprochen wird oder ihm gar nicht geglaubt wird, dass es seine Karte ist. "Gute Erfahrungen habe ich eigentlich nur bei meinem Hausarzt gemacht. Er ist zwar über 60 Jahre alt und hat bestimmt keine Schulung zu trans* Personen gemacht, aber er bekommt es hin, mich mit meinem richtigen Namen anzusprechen und respektvoll mit mir umzugehen."
Angst vor dem Besuch bei Gynäkolog*innen
Eigentlich müsste Jamie B. auch weiterhin zur jährlichen Krebsvorsorge, doch er habe schon vor Beginn seiner medizinischen Transition schlechte Erfahrungen bei Gynäkolog*innen gemacht. Jetzt als trans* männliche Person habe er das Gefühl, dort nicht hinzugehören. "Die werden es nicht schaffen, mich richtig ansprechen, ich werde dort im Wartezimmer schief angeguckt — ich bin doch bei eine*r Frauenärzt*in fehl am Platz. So ein Termin würde mich unglaublich viel Kraft kosten, und die habe ich gerade nicht über." Die vielen Diskriminierungen im Alltag führen dazu, dass er sich nicht noch in weitere solche Situationen begeben möchte.
"Ich habe dieses Gefühl, der Gesellschaft ziemlich egal zu sein. Und dass meine Diskriminierungserfahrungen, mein Leiden in diesem System nicht zählen. Dass es den meisten Menschen einfach völlig egal ist und dass es da so eine Gleichgültigkeit gibt", beschreibt Jamie B. wie es ihm ergeht. Für eine bessere medizinische Betreuung für trans* Personen wünscht sich Jamie zunächst, dass in jeder Praxis der richtige Name erfragt und die erwünschte Anrede verwendet wird.
Leben als Trans-Mensch: "Ich hatte sie vorher nie wirklich glücklich gesehen"

Darüber hinaus ist eine allgemeine Aufklärung wichtig. "Die Richtlinien zur Behandlung sind da, aber sie bringen uns nichts, wenn die Ärzt*innen die Behandlung verweigern. Die verschiedenen Möglichkeiten zu binären und nicht-binären Transitionen sollten ausgebaut und sichtbar gemacht werden. Ärzt*innen sollten die eigenen Vorstellungen über Transition nicht ihren Patient*innen aufzwingen."
Der Alltag von trans* Personen sei nicht einfach. Eine Verminderung der Diskriminierungen im medizinischen System wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Auch trans* Personen sollten die Möglichkeit haben ohne Alltagsdiskriminierungen an unserer Gesellschaft teilzuhaben.
* Jamie B. hat in Wirklichkeit einen anderen Nachnamen. Der Redaktion ist sein Name bekannt.
Quellen: Glossar FU Berlin , Bpb