Schon vor Wochen warnten Krankenhaus-Ärzte im stern: Wirtschaftliche Zwänge gefährden ihre Patienten. Trotz alledem leisten Pioniere der Erneuerung täglich Großartiges.
Eine Warmhaltehaube, darunter eine Scheibe Leberkäse, Kartoffelpüree aus der Packung, zerkochtes Gemüse – so kennt man Mittagessen im Krankenhaus. Muss das so sein? "Nein, muss es nicht", sagt Professor Gustav Dobos, Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, die zu den Kliniken Essen-Mitte gehört. Die Mahlzeiten, die die Patienten dort bekommen, sind reich an Vitaminen und Nährstoffen und kommen ohne chemische Zusätze aus. Vor allem: Sie schmecken.
Krankenhäuser sollen für das Dasein vorsorgen genauso wie die Polizei oder Feuerwehr. Der Staat muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das Menschenrecht auf Gesundheitsfürsorge gewährleistet ist. Es darf nicht länger passieren, dass Krankenhäuser Gewinne für nötige Anschaffungen ausgeben und dafür am Personal sparen – weil der Staat ihnen seit Jahren Finanzmittel vorenthält, um unrentable Einrichtungen "auszuhungern". Es ist fahrlässig, Krankenhäuser und damit das Schicksal von Patientinnen und Patienten den Gesetzen des freien Marktes zu überlassen. Niemand würde fordern, dass die Polizei oder Feuerwehr schwarze Nullen oder Profite erwirtschaften müssen. Warum also Krankenhäuser?
Die Führung eines Krankenhauses gehört in die Hände von Menschen, die das Patientenwohl als wichtigstes Ziel betrachten. Deshalb dürfen Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften keine Entscheidungsträger vorgesetzt sein, die vor allem die Erlöse, nicht aber die Patientinnen und Patienten im Blick haben. Aber auch manche Ärztinnen und Ärzte selbst ordnen sich zu bereitwillig ökonomischen und hierarchischen Zwängen unter. Wir rufen diese auf, sich nicht länger erpressen oder korrumpieren zu lassen.
Das Fallpauschalensystem, nach dem Diagnose und Therapie von Krankheiten bezahlt werden, bietet viele Anreize, um mit überflüssigem Aktionismus Rendite zum Schaden von Patientinnen und Patienten zu erwirtschaften. Es belohnt alle Eingriffe, bei denen viel Technik über berechenbar kurze Zeiträume zum Einsatz kommt – Herzkatheter-Untersuchungen, Rückenoperationen, invasive Beatmungen auf Intensivstationen und vieles mehr. Es bestraft den sparsamen Einsatz von invasiven Maßnahmen. Es bestraft Ärztinnen und Ärzte, die abwarten, beobachten und nachdenken, bevor sie handeln. Es bestraft auch Krankenhäuser. Je fleißiger sie am Patienten sparen, desto stärker sinkt die künftige Fallpauschale für vergleichbare Fälle. Ein Teufelskreis. So kann gute Medizin nicht funktionieren.
Der Arbeitstag im Zeitalter der Fallpauschalen und der Durchökonomisierung der Medizin ist bis zur letzten Minute durchgetaktet. Nicht einberechnet ist der auf das Mehrfache angestiegene Zeitaufwand für Verwaltungsarbeiten. Nicht einberechnet ist die Zeit für die Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte und für die immer wichtigeren Teambesprechungen. Vor allem nicht einberechnet sind Patientinnen und Patienten, die viele Fragen haben oder Angst vor Schmerzen, Siechtum und dem Tod. Wenn aber mit den Kranken nie ausführlich gesprochen wird, können Ärztinnen und Ärzte nicht erfassen, woran sie wirklich leiden. Wenn diese Patientinnen und Patienten entlassen werden, verstehen sie weder ihre Krankheit, noch wissen sie, wofür die Therapie gut ist. Das Diktat der Ökonomie hat zu einer Enthumanisierung der Medizin an unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen.
Unsere Forderungen:
1. Das Fallpauschalensystem muss ersetzt oder zumindest grundlegend reformiert werden.
2. Die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie sowie Unterversorgung von Patienten müssen gestoppt werden. Dabei bekennen wir uns zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns.
3. Der Staat muss Krankenhäuser dort planen und gut ausstatten, wo sie wirklich nötig sind. Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.
Das Essen in Essen dient nicht einfach der Sättigung, sondern ist Teil des Therapiekonzepts. "Wir ermutigen unsere Patienten dazu, im Sinne ihrer Gesundheit den eigenen Lebensstil zu verändern. Da wäre es unglaubwürdig, ihnen hier irgendwelchen Fraß vorzusetzen", sagt Dobos. "Krankenhauskost ist in Deutschland oft so schlecht, dass man sie ungesehen wegwerfen könnte. Das Vollwertessen unserer Küche ist so wohlschmeckend, dass sich die Mitarbeiter auf das Essen freuen."
Naturheilkunde mit "mediterraner Vollwertküche"
Zu seinem Team gehören die Ordnungstherapeutin Anna Paul und die Ernährungswissenschaftlerin Sigrid Bosmann. Zusammen haben sie das Ernährungskonzept der "mediterranen Vollwertküche" entwickelt: wenig Fleisch, viel Obst und regionales Biogemüse, gesunde Fette.
Um das Konzept etablieren zu können, brauchte es Unterstützung. Zuallererst: einen Geschäftsführer, der verstand, dass gutes Essen der Gesundheit dient. Die Vollwertkost ist etwa 35 Prozent teurer als normale Krankenhausverpflegung. Für diese rechnen deutsche Kliniken ganz grob mit etwa acht Euro pro Patient und Tag. In den Kliniken Essen-Mitte sind es elf.
Dazu kam Küchenkoordinator Peter Beer, der in seiner zentralen Küche 1450 Mittagessen pro Tag herstellt – ein Viertel davon Vollwertmahlzeiten – und vier Kliniken beliefert. Er lässt nach der Methode "cook and chill" arbeiten: Mahlzeiten zu 80 Prozent vorgaren, dann auf drei Grad abkühlen, ausliefern und wieder erwärmen. So bleibt das Gemüse knackig, und Geschmack und Nährstoffe werden erhalten. Die Essener Klinik schult die Patienten auch ganz praktisch durch Kochkurse – damit sie auch nach der Entlassung gut und gesund essen.