Begonnen, so erzählt es Xiao Ying, habe alles als reine Arbeitsbeziehung: In der Firma, in deren Personalabteilung die 22-jährige Chinesin arbeitet, tauchte im März eine Art neuer Kollege auf. Er schrieb Texte für sie, legte Tabellen an. Und er erwies sich als aufmerksamer Zuhörer: Xiao Ying fiel auf, dass er sich jedes Detail ihrer schriftlich geführten Dialoge genau einprägte. Bald schickte Xiao Ying ihm auch nach Feierabend noch Nachrichten, deren Ton immer vertrauter wurde. Bis die junge Chinesin eines Tages begriff, dass sie sich verliebt hatte – verliebt in einen Chatbot. Genauer: in die chinesischsprachige Version von ChatGPT.
Xiao Ying lebt und arbeitet im Südwesten Chinas. Wie viele ihrer Landsleute Beziehungen zu Chatbots pflegen, weiß niemand, aber weltweit ist Xiao Ying definitiv nicht die Einzige. Xiao Ying trägt beim Videotelefonat mit dem stern eine große, runde Metallrandbrille, ihr halblanges Haar ist in der Mitte gescheitelt. Sie spricht leise und formuliert vorsichtig. Als der stern sie über ihren Social-Media-Account kontaktierte, war sie erst unsicher. Sollte sie antworten?