Kein Wunder, dass Arno Geiger mit dem neuen Buch über seinen demenzkranken Vater schnell die Bestsellerlisten hochgeklettert ist. Das Thema ist angesagt. Immer mehr Ratlose, Verzweifelte suchen Orientierung und Trost, weil sie miterleben mussten oder müssen, wie ein Angehöriger vor ihren Augen durch Alzheimer oder andere Formen von Altersdemenz bei lebendigem Leib erlischt.
Für diese Suchenden ist Geigers "Der alte König in seinem Exil" eine verlockende Adresse. Der österreichische Autor (Jahrgang 68) breitet die Krankheitsgeschichte von August Geiger in höchst versöhnlicher Weise aus. Den Vater ernennt er im Buchtitel zum König, und für die Angehörigen sieht der Sohn nach über zehn Jahren Krankheit und Pflege Gewinn: "Seine Kinder, das zeichnet sich immerhin ab, werden in gewisser Weise geläutert aus den Geschehnissen hervorgehen."
Nach bisher fünf Romanen nimmt sich Geiger hier wie ein Sachbuchautor, ohne erkennbaren Ansatz zu Fiktion, die Krankheitsgeschichte des Vaters und sein Verhältnis dazu vor. Er schildert verschiedene Phasen von den ersten, noch unverstandenen und deshalb irritierenden Fehlleistungen bis zum unvermeidlich gewordenen Umzug des alten Mannes in eine Pflegestation.
"Der alte König in seinem Exil"
Von Arno Geiger
Hanser
Preis: 17,90 Euro
Lebenswille und Verbale Fehlleistungen
August Geiger erweist sich als ganz überwiegend freundlicher, mit seinem Schicksal an entscheidenden Punkten nicht hadernder Alzheimer-Kranker. Glück gehabt, mögen manche seufzen, deren demente Angehörige in der Krankheit von weniger positiven Seiten ihrer Persönlichkeit beherrscht werden.
Und die mit Horror und zugleich unendlich schlechtem Gewissen ihre Besuche auf Pflegestationen voller schweigender, komplett verlorener und verlassener alter Menschen mit leeren Gesichtern hinter sich bringen. Arno Geiger erlebt in der mittleren Demenzphase seines Vaters auch das Heim ganz anders: "Die meisten Bewohner strotzten vor Leben, auf eine sehr elementare Art."
Als pflegender Sohn erlebt er ein Aufblühen der Beziehung zu seinem Vater, der ihm als gesunder, jüngerer Mann recht fremd und irgendwann auch gleichgültig war. Nach Einfühlung strebend beschreibt er die zunehmende Orientierungslosigkeit des Kranken mit dem immer schlechter funktionierenden Gehirn. Detailliert protokolliert er auch die immer massiveren verbalen Fehlleistungen seines Vaters, der nach der Überreichung beider Socken durch den Sohn fragt: "Wo ist der dritte?"
Den Kompass verloren
Da kann, wer mag, schmunzeln. Tief beeindruckt ist Arno Geiger von dem aus Not geborenen Sprachwitz seines Vaters, der immer wieder auf verschiedene Weise auszudrücken versucht, dass er den Kompass verloren hat: "Ich bin einer, der nichts zu melden hat. Da ist nichts mehr zu machen." Es seien Sätze wie dieser, so der Sohn, "die auch ein Held von Franz Kafka oder Thomas Bernhard gesagt haben könnte."
Hat man schon ein ungutes Gefühl bei diesem seltsamen Lob, setzt Arno Geiger aus einer Perspektive von ganz weit oben noch einen drauf: "Ich dachte mir, da haben sich zwei gefunden, ein an Alzheimer erkrankter Mann und ein Schriftsteller." Der Vater war ein einfacher Gemeindeschreiber im österreichischen Wolfurt, wie Geiger schreibt.
Man nimmt dem Autor seine mit der Krankheit wachsende Liebe zum Vater gerne ab. Im Buch breitet er in Rückblenden aus, wie sich für ihn während der Krankheitsphase ein immer positiveres, verständnisvolleres Verhältnis auch zu früheren väterlichen Lebensphasen entwickelt hat. Man liest gern als helfende Darreichung für eigene Erlebnisse, dass er die Demenzkrankheit innerlich annehmen und das Zusammensein mit dem Vater unter den immer schwereren Bedingungen positiv erleben kann.
Aber eins wirkt völlig falsch an diesem Buch: Geiger schreibt konsequent "der Vater" und meidet "mein". Zu vermuten ist, dass er es zu besitzergreifend findet. Dabei hat er mit diesem Buch von der Geschichte seines Vaters ganz und gar Besitz ergriffen. August Geiger, der noch lebt, kann selbst nicht mehr entscheiden, ob er im Titel wirklich "König" genannt und, wie geschehen, auf dem Cover abgebildet werden möchte.