Dynamische Linien Gebäude wie Jazzmusik: Star-Architekt Frank Gehry ist tot

Frank Gehry verstand sich als Künstler. (Archivbild) Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/dpa
Frank Gehry verstand sich als Künstler. (Archivbild) Foto
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Guggenheim-Museum in Bilbao, Walt-Disney-Konzerthalle in Los Angeles oder Neuer Zollhof in Düsseldorf: Weltweit hat Frank Gehry ikonische Gebäude geschaffen. Jetzt ist der Architekt mit 96 gestorben.

Hätte Frank Gehry sein Leben nicht der Architektur gewidmet, wäre aus ihm vielleicht ein erstklassiger Jazzmusiker geworden. Wie im Jazz leben Gehrys Bauten von oft wilden und schiefen Formen, von spontaner Eingebung und der Kunst der Improvisation. Weltweit hinterließ Gehry seine unverkennbare Handschrift und setzte den allzu harmonischen, kantigen und klaren Bauten der Moderne seine Skulpturen in Form fantastisch geformter Häuser entgegen. 

Jetzt ist der Star-Architekt im Alter von 96 Jahren nach einer kurzen Atemwegserkrankung in seinem Haus in Santa Monica gestorben, wie seine Mitarbeiterin Meaghan Lloyd der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. 

Auf den ersten Blick wirken seine Bauten, als seien sie aus einer Parallelwelt mit anderen Schwerkraft-Gesetzen gefallen. Schimmernd und glitzernd biegen sie sich mit Titan-Hüllen in den Himmel. Gehrys postmoderne Bauweise begeisterte von Beginn an, weil sie den von der Designschule Bauhaus propagierten Gestaltungsgrundsatz "Form Follows Function" ins Gegenteil verkehrte: Form muss, wie Gehry zeigte, keineswegs der Funktion folgen. Die Form selbst kann einen Bau beherrschen und für sich Wirkung entfalten.

Berühmte Gebäude folgen einem Rhythmus

So auch beim Guggenheim-Museum (1997) im spanischen Bilbao und der Disney Concert Hall (2003) in Kalifornien, die zu Gehrys berühmtesten Projekten zählen. Die Fragmente dieser Gebäude wirken einzeln betrachtet unorganisiert und chaotisch und folgen doch einem Rhythmus. 

Das spanische Guggenheim - ein dekonstruktivistisches, funkelndes Wunderwerk aus Glas, Titan und Kalkstein - ist bis heute beliebtes Touristenziel und begeistert auch Menschen, die sich sonst weniger für Architektur interessieren. Architekt Philip Johnson bezeichnete es als "das großartigste Gebäude unserer Zeit". Wegen der vielen Kultur-Pilger war bald vom "Bilbao-Effekt" die Rede.

20 bis 30 Modelle baute Gehry für jedes Projekt eigener Aussage zufolge. Er zerknitterte Pappe oder zerriss Papier und klebte die Fetzen zusammen. Aus der ständigen Suche nach Wegen, um diese komplexen geometrischen Gebilde günstig und stabil in die Welt zu setzen, entstand Gehrys eigene Technologiefirma für Design-Software. Die erstbeste Idee zu verwenden oder nicht die bestmögliche Leistung abzuliefern, sei "nicht fair", sagte er. Und der Star-Architekt riet dazu, alle Projekte gleich zu behandeln: "Egal wie klein ein Projekt auch sein mag, behandle es, als sei es das wichtigste."

Diese Projekte zählen zu den wichtigsten von Gehry

Vitra Design Museum in Weil am Rhein (1989)Guggenheim Museum in Bilbao (1997)Neuer Zollhof in Düsseldorf (1999)Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (2003)Marta Herford in Herford (2005)Fondation Louis Vuitton in Paris (2014)LUMA Tower in Arles (2021)

Auch kleinere Projekte nahm er ernst: 1977 gestaltete er sein zweistöckiges Haus im traditionellen Bungalow-Stil bei Los Angeles: Dabei zerlegte er das Gebäude bis auf den Rahmen und ummantelte es mit Maschendrahtzaun und Wellblech. Das Haus wirkte, als sei es explodiert. 

Bald baute Gehry weltweit, etwa den Fisch-Pavillon zu den Olympischen Spielen in Barcelona (1992), die Cinémathèque Francaise in Paris (1994) und das Tanzende Haus in Prag (1996).

Alles begann mit Holzabfällen seiner Großmutter

Geboren wurde Gehry 1929 als Ephraim Owen Goldberg im kanadischen Toronto. Seine Eltern waren jüdische Einwanderer aus Polen. "Ich bin in dieser Stadt aufgewachsen, bis ich 17 war - da ist ein Haufen emotionales Zeug damit verbunden", erzählte Gehry der Deutschen Presse-Agentur, als er dort 2008 die Art Gallery of Ontario umgestaltete. Seine Großmutter und er hätten in seiner Kindheit mit Holzabfällen kleine Häuser und Städte gebaut. "Ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat, aber es ist mein Leben geworden", sagte Gehry.

Aber es war viel mehr als nur Bauen, es war bildende Kunst mit Hilfe von Statikern, Ingenieuren, Designern und Investoren. Als "Skulptur-Objekte" bezeichnete Gehry neue Aufträge, als "räumliche Container, einen Raum mit Licht und Luft". Heute ist Gehrys Handschrift überall auf der Welt zu sehen: die Louis Vuitton Foundation in Paris, das Biomuseo in Panama oder das Guggenheim Museum in Abu Dhabi, das nach langer Bauzeit und vielen Verzögerungen voraussichtlich im kommenden Jahr eröffnet werden soll.

Wie jeder große Künstler hatte auch Gehry einige Kritiker, die seine Bauten als sündhaft teure Spielereien eines Egozentrikers abtaten, der nur eine große Show hinlegen wolle. "98 Prozent dessen, was auf unserer Welt gebaut und entworfen wird, ist pure Scheiße", sagte Gehry 2014, als ein Journalist ihm diese Kritik vortrug - und hob den gestreckten Mittelfinger. "Es gibt keinen Sinn für Design oder Respekt für die Menschheit oder sonst etwas", kritisierte er. So exzentrisch und ausladend wie Gehrys Bauten konnte der Mann eben manchmal auch selbst sein.

dpa

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