"Die indische Prinzessin" Eine Trophäe namens Anita

Von Gerda-Marie Schönfeld
Ein indischer Fürst verliebt sich in Madrid in eine junge, schöne, aber arme Tänzerin. Ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht? Ja, aber ein wahres. "Die indische Prinzessin" - jetzt als Buch erschienen - gehört zu den faszinierendsten Frauengestalten des vergangenen Jahrhunderts.

Wir sind im Jahre 1906. Anita Delgado, ein schwarzhaarige Schönheit aus einer stolzen, aber verarmten Familie, muss ihre Eltern mit hübschen kleinen Tanzauftritten in einem Madrider Varieté über Wasser halten. Anita ist sechzehn, Analphabetin, aber nicht auf den Kopf gefallen. Als in ihrem Etablissement ein fremder exotischer Mann namens Jagatjiit Sing auftaucht, sehr reich, mit Diamanten am Turban und doppelt so alt wie sie, weist das Mädchen empört alle Avancen zurück. Ein Abendessen zu zweit - undenkbar für eine ehrenwerte Tochter. Ein Umschlag mit Bargeld - was fällt dem denn ein! Eine kostbare Perlenkette - ich verbitte mir das!

Der indische Maharadscha, glühend vernarrt in die Tänzerin, ändert seine Taktik und charmiert die Mutter. Schliesslich siegt Mamas praktischer kleiner Hausfrauenverstand: Er ist reich - wir sind arm. Er liebt und achtet unser Kind, er wird für uns alle sorgen. Einzige Bedingung: die Ehe. Ohne Heirat keine Anita. Der Fürst ist mit allem einverstanden. Seine Bedingung: die künftige Gattin muss mit einer gewissen Strenge zur Herrscherin von Karpathula im indischen Pandschab erzogen werden.

Und so lernt Anita in Paris unter Aufsicht einer französischen Gouvernante lesen und schreiben, englisch und französisch, reiten, mit Messer und Gabel essen, Austern schlürfen und die exquisitesten Roben tragen. Sie lernt sogar den noch unbekannten Picasso kennen. Der Fürst, das haben die Eltern inzwischen herausgefunden, war ein wirklich guter Griff: steinreich, erstklassiger Ruf, exzellente Manieren und sehr westlich orientiert.

Es ist eine perfekte kleine Dame, die ein Jahr später in Karpathula ankommt. Die Hochzeit ist so prunkvoll, dass Anita schwindelt. Sie wird in lauwarmer Eselsmilch gebadet, massiert, gesalbt, parfümiert, in einen Seidensari gehüllt. Die Hochzeitskutsche ist vergoldet und wird von vier Schimmeln gezogen. Es ist ein Märchen, und in der Zeitung steht: "Die junge Braut ist von makelloser und ausgesuchter Schönheit".

Das Buch

Der spanische Autor Javier Moro hat mit seinem Bestseller "Die indische Prinzessin" (Chronik-Verlag, 24 Euro) das ungewöhnliche Leben einer faszinierenden Frau eingefangen. Ein echter Weihnachtsschmöker, in den man guten Gewissens versinken kann. Man lernt viel über die versunkene Welt des prächtigen feudalen Indien, und als Dreingabe gibt's eine große romantische Liebesgeschichte, bis zum bitteren Ende.

Der Fürst präsentiert Anita wie eine Trophäe. Obwohl die englischen Kolonialoffiziere Europäerinnen auf einem indischen Thron nicht anerkennen, ist es in jenen Jahren der höchste Triumph für einen indischen Maharadscha, eine Europäerin heimzuführen, oder wenigstens als kostbare Geliebte zu halten. Es ist ein Statussymbol. Viele Glücksritterinnen aus dem alten Kontinent sind unterwegs, um den jungen indischen Adel kräftig auszunehmen. Die wenigsten wurden geheiratet, wie Anita.

Die Haremsfrauen hassen die neue Frau und basteln sofort an Palastintrigen. Die englischen Gattinnen begegnen ihr, dem spanischen Nichts, mit Verachtung. Die indischen Fürsten hofieren sie. Sie ist eine Sensation, jeder will sie sehen. Und so wird Anita in Indien eine Berühmtheit.

Der Fürst baut ihr ein Schloss mit 108 Zimmern, wie in Versailles. Dass er vier Frauen in seinem Harem hat - er ist Sikh - ignoriert sie. Denn sie , die Fremde, ist die erste Frau in seinem Herzen. Sie bekommt einen Sohn, ist umzingelt von Dienerinnen, schaut an dem bitteren Elend der Armen nicht vorbei und geniesst dennoch einen unvorstellbaren Luxus in einem Land, das seine Revolution noch vor sich hat.

Ihr Mann, der indische Maharadscha, geboren 1872, ist ein typisches Kind des feudalen Indien. Unermesslich reich, erzogen zum Herrscher und gleichzeitig vernarrt in die Werte der westlichen Demokratie. In seinen jungen Jahren macht sich der Hof große Sorgen um den Prinzen. Mit 14 , als er zum ersten Mal verheiratet wird, wiegt er 130 Kilo, ist einfach zu fett und weiß nicht, wie man eine Frau begattet. Bis die Kurtisane Munna auf die geniale Idee kommt, von einem englischen Ingenieur eine Bettkonstruktion mit Gefälle anfertigen zu lassen, die es dem Herrscher erlaubt, seinen dynastischen Pflichten nachzukommen. Es funktioniert, und der Fürst belohnt Munna mit einer Rente auf Lebenszeit.

Jagatjiit Singh lernt schnell, wie alle indischen Aristokraten, sich mit den kolonialen Briten gutzustellen, um seine Privilegien zu sichern. Natürlich ist er dabei, als im Juni 1919, nach dem verheerenden ersten Weltkrieg, der Frieden von Versailles mit den deutschen Verlierern ausgehandelt wird. In Frankreich ist der Maharadscha eine Sensation, er wird in die besten Kreise eingeladen. In New York verfolgen den exotischen Liebling der Upper Class Paparazzi auf Schritt und Tritt. In Hollywood werden der Fürst und Anita von Charlie Chaplin empfangen. Die "Chicago Tribune" schreibt vom "König aus tausend und einer Nacht, dessen Gewänder in einem sagenhaften Glanz erstrahlten". Es ist ein rasantes Leben auf der Überholspur, mit Partys, Luxushotels und in stets exlusiver Gesellschaft. Anita, fast 30, liebt dieses Leben.

Bis zwei unerhörte Dinge passieren. Ein schmächtiger kleiner Mann, nur in ein Baumwolltuch gehüllt, fordert auf einem Empfang im indischen Benares die Fürsten auf, all ihren Reichtum , ihre Juwelen, ihre Paläste den Armen zu schenken. Keiner weiss, wie der komische Typ in den Saal gekommen ist. Keiner kennt ihn. Die Fürsten verlassen empört den Raum. Anita und ihr Mann bleiben. Und so trifft Anita zum erstenmal auf Gandhi. Später wird er der Held der gewaltlosen Revolution und als Mahatma Gandhi der Märtyrer Indiens werden.

Und dann: Anita verliebt sich in den ältesten Sohn ihres Mannes und wird schwanger. Der Fürst zwingt sie zur Abtreibung, verbannt sie aus seinem Palast, ja, aus ganz Indien. Der Skandal verbreitet sich in Windeseile und steht sogar in französischen Zeitungen. Anita kehrt nach Europa zurück, lebenslänglich grosszügig versorgt vom Fürsten, getreu seiner Tradition, den Frauen seines Lebens immer zur Seite zu stehen. Er besucht sie regelmässig in Paris und ist inzwischen auf eine junge Französin reingefallen, eine Glücksritterin, die ihn kräftig ausnimmt. Anita gehört auch wieder zum europäischen Jetset und ist mit Prominenten wie Josephine Baker befreundet.

Als der riesige Kontinent 1947 in Indien und Pakistan geteilt wird, und im Bürgerkrieg Hunderttausende von Toten auf den Strassen liegen, sieht der Maharadscha sein Reich zerfallen. Mahatma Gandhi wird von einem Attentäter erschossen. Die Englän der verlassen das Land. Indien wird eine unabhängige Demokratie. Die Maharadschas verlieren ihre Privilegien und ihre Leibrenten, ihre Paläste verfallen. Anitas Versailles in Kapurthala ist heute eine Schule. Als der Fürst 1949 in Bombay stirbt, mit 77 Jahren, ist die Glanzzeit der indischen Pracht endgültig vorbei. Anita Delgado stirbt 1962, zu ihren Zeiten ein Medienstar wie Kaiserin Soraya oder Lady Diana.

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