"Tinkers" ist kein typischer Bestsellerroman. Der schmale Band des Amerikaners Paul Harding (Jahrgang 1967) hat kaum Handlung, ist besinnlich, meditativ, von einzigartiger sprachlicher Schönheit. Harding, der in den 1990er Jahren noch als Schlagzeuger der Band "Cold Water Flat" durch die USA und Europa tourte, wandte sich erst in seiner zweiten Karriere dem Schreiben zu.
Sein Debüt wurde von allen größeren Verlagen zurückgewiesen, lag jahrelang in Hardings Schreibtisch, bis es 2009 bei dem unabhängigen Herausgeber Bellevue Literary Press landete. Ein Jahr später brachte es dem Nachwuchsautoren den Pulitzerpreis ein. Die Jury würdigte sein Werk als "Hymne auf das Leben", in dem ein Vater und ein Sohn aus Neuengland die drückende Armut, in der sie leben, überwinden und "zeigen, wie man die Welt und die Sterblichkeit neu wahrnehmen kann".
"Tinkers"
Von Paul Harding
Luchterhand Literaturverlag
Preis: 19,99 Euro
Fliegenfischen in Neuengland
Harding beginnt seinen Roman mit den Worten: "Acht Tage bevor er starb, begann George Washington Crosby zu halluzinieren". Von hier aus führt der Autor seine Leser zurück in die Vergangenheit und spürt den Erinnerungen des Sterbenden nach, beschwört die Landschaft von Maine herauf und die epileptischen Anfälle seines Vaters Howard. Dieser war als "Tinker", das heißt, als Kesselflicker und fahrender Händler, noch mit dem Maultierkarren über Land gezogen.
Wie Hardings eigener Urgroßvater verlässt Howard die Familie, als ihn seine Frau wegen der Epilepsie in eine Heilanstalt abschieben will. Hardings eigener Großvater reparierte Uhren - wie George, der Protagonist in "Tinkers", - und nahm den jungen Paul im Sommer mit zum Fliegenfischen in die Wälder von Neuengland. Dort lernte der künftige Schriftsteller die Natur lieben.
Liebenswert-humorvolle Geschichten
Die Eindrücke aus jener Zeit ermöglichen Harding, etwa den hereinbrechenden Abend so einfühlsam wie folgt zu beschreiben: "Die Sonne stand schon niedrig, und es lag Helligkeit auf den Baumwipfeln und Helligkeit auf dem langen Gras, und dazwischen bildete sich ein Band aus Schatten, das die untersten Äste säumte", und weiter, "für Howard war es der schönste Teil des Nachmittags, wenn Falten der Nacht sich mit Bändern des Tages vermischten". Harding beendet seine Beobachtung vom Sonnenuntergang mit den Worten: "Das wahre Wesen von Wald und Licht und Dunkel und das Geheimnis ihres Zusammenspiels war so fein und diffizil, dass es sich nicht erfassen ließ mit meinem stumpfen Auge...".
Georges Rückblick enthält stille, berührende, liebenswert-humorvolle Geschichten von einfachen Leuten wie dem Einsiedler Gilbert, dem Howard einmal im Jahr Tabak in die Wildnis bringt, ohne dass ein Wort zwischen ihnen fällt. Harding beschreibt Gilbert als einen Mann, "der sich in Tierhäute kleidete, Gebete vor sich hin murmelte (nicht selten auf Lateinisch) und dem in der wärmeren Jahreszeit stets ein kleiner, aber lebhafter Fliegenschwarm seine Aufwartung machte".
Drama des Bewusstseins
Auf den Mangel an Action in seinem Roman angesprochen, sagte Harding der Zeitschrift "Harvard Book Review", dass ihn Handlung nicht sonderlich interessiere. "Wenn man eine gute Person hat, braucht man nicht viel Handlung". Er fühle sich mehr "zum Innenleben hingezogen, zum Drama des Bewusstseins". Vom Erfolg seines ersten Romans inspiriert, schreibt Harding inzwischen an der Fortsetzung von "Tinkers". Er lebt mit seiner Frau und zwei jungen Söhnen in der Nähe von Boston, unterrichtet an Universitäten und Colleges und plant, im September zu Lesungen nach Deutschland zu kommen.