Vor Kurzem traten mein bester Kumpel und ich eine dreistündige Zugfahrt gen Norden an. Wie man das so macht, klappten wir erst einmal die Tische vor uns herunter und richteten uns so häuslich ein, als würden wir nun für die nächsten paar Monate auf diesem schmalen, schlecht gepolsterten Sitz einziehen. Wasserflasche, Snacks, Handy, noch ein paar mehr Snacks, Kopfhörer und: ein gutes Buch. Mit einem lauten Wumms landete eine dicke, ledergebundene Nietzsche-Biographie auf dem Tisch neben mir. "Liest du das zum Spaß?", fragte ich verunsichert, während ich in meiner Tasche nach meinem Buch suchte. "Klar", lautete die Antwort. Das sei sehr amüsant. Und während mein Kumpel sich in den darauffolgenden Stunden über veraltete Wortwendungen beömmelte, kam ich mir ein bisschen dämlich vor, als ich das rosafarbene Taschenbuch einer bekannten britischen Frauen-Liebesroman-Autorin aus meiner Tasche zog.
Es ist nicht so, dass mir das wirklich unangenehm wäre. Ich bin mir zwar im Klaren darüber, dass ich vermutlich nicht zur Zielgruppe für diese Romane gehöre, aber ich stehe dazu, mich ab und zu gerne ein bisschen berieseln zu lassen. Denn kitschige Liebesromane sind die Prinzenrolle unter den Büchern. Kein Hochgenuss, aber leicht bekömmlich. Auch wenn man sie nicht ständig konsumieren möchte, gibt es Momente, in denen es einfach nichts Besseres gibt. Wenn man krank ist beispielsweise oder im Urlaub auf dem Balkon oder zwischendurch in der U-Bahn.
Der Liebesroman erwartet nichts und liefert doch immer ab
Schnodder im Hirn? Eigentlich grad was ganz anderes im Kopf? Gefangen im vollgestopften Wartezimmer beim Arzt? Macht überhaupt nichts. Der Schundroman braucht keine volle Aufmerksamkeit. Ihm reichen etwa 60 Prozent. Wo "Der ängstliche Adler: Friedrich Nietzsches Leben" höchste Konzentration erwartet und seinen Leser sonst mit Orientierungsverlust nach drei Sätzen bestraft, kann man bei Sophie Kinsella und Co. nebenbei auch noch das Radio laufen lassen, mit Oma telefonieren, ein Ohr auf die Türklingel haben und die Nägel lackieren – völlig egal. Und wer sich dem Text zu 100 Prozent widmet, erlebt die Bilder so einfach und nahbar beschrieben, dass er sich für einen kurzen Moment aus dem Wartezimmer zum Beispiel auf eine romantische Bootsfahrt in Paris teleportiert fühlt.
Keine Spielchen mit Gefühlen
Weniges schmerzt mehr, als auf den letzten paar Seiten damit überrascht zu werden, dass plötzlich der Lieblingscharakter abgemurkst wird, oder statt des erwarteten Happy Ends einfach gar nichts passiert. Ich verstehe ja, dass das manchmal für den tieferen Sinn einer Geschichte notwendig ist und einen Spannungsboden schafft, der durch ein Happy End ruiniert würde. Aber ein bisschen frustrierend ist das schon. Sowas macht der Liebesroman nicht mit uns.Er lässt uns nicht hängen. Spätestens nach dem zweiten weiß man von Anfang an, welche Protagonisten zueinander finden werden und welcher blondierte Schmiertyp mit großen Muskeln nur eine getarnte Finte ist. Ja, und? Das hat doch etwas zutiefst Beruhigendes. Sie streiten sich? Macht nichts. Er ist ohne etwas zu sagen auf einen anderen Kontinent gereist? Der kommt schon wieder. So viel Vertrauen würde man manchmal gern Freundinnen auf dem Single-Markt wünschen.

Erwartungen werden nie enttäuscht
Wie oft haben wir schon die Worte "Das MUSST du lesen! Das ist der HAMMER! Danach hast du einen VÖLLIG neuen Blick auf die Situation" gehört? Es gibt Bücher, bei denen überschlagen sich die Leser förmlich vor Begeisterung, Titel schießen auf Platz eins der Bestsellerliste und weltweit werfen Bücherclubs mit Worten wie "TIEFE!" und "GENIE!" um sich. Also begibt man sich in die nächstgelegene Buchhandlung, ersteht die heiß angepriesenee Ware, macht es sich mit einem Tee auf dem Sofa bequem – und fragt sich nach 100 Seiten, wer den prätentiösen Mist zur Publikation freigegeben hat. Man verstehe mich nicht falsch: Literaturinterpretation ist eins meiner liebsten Hobbys und ich warte seit Jahren auf eine Einladung zum Buchclub meiner Großmutter. Ich kann ein gutes, anspruchsvolles Buch genießen und wertschätzen. Aber beim Liebesroman aus dem Bahnhofsshop läuft man nie Gefahr, enttäuscht zu werden. Wenn er gut war, ist das prima, wenn er schlecht war, war's ja eigentlich klar.
Kurzum: Sieht die Nietzsche-Biografie im Zug beeindruckender aus? Sicher. Wird sie nachhaltiges Wissen vermitteln? Wahrscheinlich. Aber passt mein Buch in die Jackentasche und kann als Ablenkung auf dem Weg zur Arbeit oder beim Warten auf die Freundin im Café genutzt werden? Unbedingt! Und jetzt entschuldige ich mich, denn Fixie und Sebastian haben sich gerade ganz übel gestritten und ich bin ziemlich sicher, dass der hinterlistige Ryan was damit zu tun hat.