Krimi Grandiose Bilder im Kopf

24 mörderisch gute Romane. Ausgewählt von den stern-Krimi-Experten Schumann und Schlenz. Heute: Robert Crais - "Hostages - Entführt".

Talley richtete die Gebläsedüsen so aus, dass ihm kalte Luft ins Gesicht wehte. Er zitterte so stark, dass er die Hände unter die Beine schob. Er hatte Angst; er schämte sich; er grub seine Hände in die Oberschenkel und sagte sich, er sei hier nicht in Los Angeles; er sei nicht länger Unterhändler; die Verantwortung für das Überleben der Leute im Haus liege nicht bei ihm.

(Robert Crais: "Hostage - Entführt")

Die Welt ist ungerecht. Punkt. Denn wenn es eine Gerechtigkeit gäbe, wäre Robert Crais weltweit ein Star, natürlich auch in Deutschland. Würde sich verkaufen wie Bolle, und wir vom stern fänden ihn ganz vorn in unserer Bestseller-Liste, deutlich vor Dan Brown. Eingeräumt: nicht mit jedem seiner Bände um den etwas betulichen Detektiv Elvis Cole. Aber garantiert mit dem grandiosen Thriller "Hostage - Entführt", ohne Cole. "Hostage" stellen wir Ihnen jetzt einfach vor und hoffen, dass dann doch Gerechtigkeit waltet: Kaufen Sie, lesen Sie - und schreiben dann begeisterte Briefe. Erst an uns, weil wir Crais für Sie entdeckt haben. Und dann an Crais selbst, auf dass er nicht aufhört, derart Aufregendes fertig zu bringen.

Der Plot ist vergleichsweise simpel, und deswegen ist Hollywood auch gleich draufgesprungen, hat einen einfachen, aber pfiffig-spannenden Film mit Bruce Willis draus gemacht. Jeff Talley, Spezialist für Geiselbefreiungen, hat seinen Job satt - nach einer furchtbar missratenen Aktion, die einen Unschuldigen das Leben kostete. Er geht in eine Art Vorruhestand, wird Provinzbulle und hofft auf ewig kommode Zeiten. Wird aber nichts: Brutale Jungkriminelle entführen erst einen miesen Buchhalter samt Anhang, dann Talleys Frau und Tochter.

stern Krimi Bibliothek

Robert Crais: "Hostage - Entführt", 6,95 Euro im Handel. Die ganze Edition kostet 129 Euro.

Und jetzt kommt das, warum wir dieses Buch so lieben, warum Sie es lieben werden und warum man zum Glück wieder erfahren darf, dass Bilder im Kopf viel stärker sind als die Bilder des Kinos: Crais lässt die Ängste Talleys, die Skrupellosigkeit der Täter, die Pein der Opfer so lebendig werden, so anschaulich, so zum Nägelkauen und Weltvergessen, dass man am Ende gar nicht weiß, wie man das Buch unfallfrei zu Ende gebracht hat.

Sie glauben uns nicht?

Warten Sie's ab. Der Amerikaner Robert Crais, Jahrgang 1953, stammt aus eher einfachen Verhältnissen. Mit 22 verließ er seine Heimatstadt Baton Rouge in Lousiana und zog nach Los Angeles. Er kannte dort niemanden, und doch schaffte er es binnen weniger Jahre, seinen Traum zu verwirklichen. Er verfasste Drehbücher für höchst erfolgreiche Fernsehserien wie "Miami Vice", "Quincy", "LA Law" und andere. Als er die Nase voll hatte, zog er sich zurück aus dem hektischen Geschäft und begann mit dem Schreiben von Kriminalromanen.

Eine verdammt weise Entscheidung.

Unser Fazit: Die Verfilmung mit Bruce Willis war rasantes Kino. Doch nur eine Kaffeefahrt, verglichen mit der literarischen Vorlage. Robert Crais hetzt seinen Helden einmal zur Hölle und wieder zurück. Und der Leser hetzt atemlos mit. Großartig!

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Thomas Schumann/Kester Schlenz