"Interview" Die Wahrheit ist blond

Schlicht "Interview" heißt Steve Buscemis neuer Film, der auf einer Idee des provokanten holländischen Regisseurs Theo Van Gogh basiert. Die gelungene Produktion testet aus, was passiert, wenn sich Journalisten und Prominente einfach mal die Wahrheit sagen würden. Oder das, was sie dafür halten.

Nein, leider passiert es im Leben eines Journalisten eher nicht, dass ein Star ihn mit nach Hause nimmt und sich auf einen ernsthaften, persönlichen Austausch einlässt. Gewöhnlich hat der Journalist 30 Minuten Interviewzeit auf neutralem Boden, um den Prominenten zu "knacken". Und der Star hat genau diese Zeit, um besonders hell zu leuchten. Das ist meist alles, was den beiden bleibt. Doch "was wäre wenn" ist eine Frage, die das Kino immer wieder gerne stellt. So auch in dem kleinen wie imposanten Film "Interview".

Pierre ist stinksauer: Er, ein seriöser Politikredakteur, soll eine dämlich-blonde Soap-Schauspielerin interviewen. Dabei hasst er nichts mehr als eben diese dümmliche Zerstreuung und Menschen, die zu spät kommen, wie das Starlet Katya. Das Arbeitsgespräch vergeht schnell und unerquicklich. Pierre ist unhöflich und schlecht vorbereitet, Katya hat keine Lust, sich für den Miesepeter Mühe zu geben. Doch wie der Zufall des Drehbuchs es will, verletzt sich Pierre kurz darauf am Kopf, und Katya nimmt ihn mit in ihr Loft, damit er die Wunde versorgen kann. Ebendort kommt es dann zum verbalen Showdown zweier Branchenvertreter, die nicht ohne einander leben können.

"Funny Face" trifft "Dumpfbacke"

Schauspieler und Regisseur Steve Buscemi - bekannt aus "Reservoir Dogs" und "Fargo" – spielt Pierre. Sienna Miller, als Ex-Freundin von Jude Law selbst bestens bekannt mit der dunklen Seite der People-Berichterstattung, beeindruckt als Katya. Pierre ist hässlich, hat eben das aus "Fargo" bekannte "funny face", Katya ist strahlend schön. Pierre ist unzufrieden mit seinem Job, Katya liegt die Welt zu Füßen, zumindest an der glitzernden Oberfläche. Das einzige, was Pierre ihr entgegenhalten kann, sind sein Stolz und seine Intelligenz.

Während Katya zu Beginn das wilde Starlet gibt, blickt Pierre auf sie herab und macht sich über ihre vermeintliche Naivität lustig. Das verletzt die junge Frau natürlich, doch weckt es auch ihren Ehrgeiz, den Feind vom Gegenteil zu überzeugen. Es beginnt ein Kammerspiel erster Güte, in dem die Seelen mal mehr und mal weniger blank ziehen, in dem der eine den anderen verbal k.o. schlägt, weil er sich selbst und also auch die Spiegelung nicht erträgt. Vor allem aber spielt "Interview" mit den Erwartungen, die der Interviewer, der Interviewte und die Leser an dieses Gespräch haben.

Schräg, bunt, tief

Das klingt vielleicht anstrengend, ist es aber ganz und gar nicht, denn Pierre wird wie gesagt von dem wunderbaren Buscemi gespielt und Katya von einer überraschend starken Sienna Miller. Weil Miller im wahren Leben nicht nur ein Starlet ist, sondern auch eine gute Schauspielerin, ist "Interview" ein richtig guter Film geworden. Er ist schräg, er ist bunt, er ist tief. Katya, das hübsche Gör, meint, sich alles erlauben zu können, und testet Grenzen aus. Pierre, der arrogante Loser, fühlt sich sicher, weil er glaubt, das Gör von Anfang an durchschaut zu haben. Doch sind Menschen bekanntermaßen immer anders, als man denkt. Und auch hier werden die Bühnenplanken locker, und die Grenzen schwammig: "I don't fuck celebreties." "And I don't fuck nobodies."

Wenn es dieser Film vor großes Publikum schaffen sollte, wird er als Werk von Buscemi erinnert werden. Doch die Idee hatte ein anderer: Theo Van Gogh, jener holländische Filmemacher, der im 2. November 2004 in Amsterdam von einem Islamisten ermordet wurde. Der ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen ist, als ein Mann, aus dessen dickem Bauch ein Messer ragt.

Van Gogh war ein hoch politischer, anarchischer und lebenslustiger Künstler, der fürs Theater genauso hartnäckig gearbeitet hat wie fürs Fernsehen und für Zeitungen. Ein Regisseur und Journalist, der sich für "Geschichten von Männern und Frauen" interessiert hat, ein "prächtiger, komplizierter Kerl, auf den eine Menge Leute sauer waren", wie ihn Freunde und Kollegen erinnern. Und ein begnadeter Beobachter der menschlichen Tragikomödie, wie "Interview" nun zeigt.

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