Cannes Tag 5 Auf der Croisette nachts um halb vier

Wenn der Festivaltag vorbei ist, wenn die Yachten ihre Stege eingeholt haben und der rote Teppich abgefegt ist, gibt es diese kleine Phase der Ruhe in Cannes. Und in der trifft man auf der Croisette seltsame, schöne und auch unglückliche Nachtgestalten.

Mit gefühlten 1,5 Promille sieht die Croisette nachts gegen halb vier noch schöner aus, als sie eh schon ist, vor allem aber ist die tagsüber verstopfte Flaniermeile endlich einmal leer. Ganz leer? Nein, ein paar Nachtgestalten sind hier und da noch unterwegs, und die scheinen am Rande des Filmfestivals ihren ganz eigenen Film zu drehen.

Fangen wir an mit der schönen Blonden, die schon auf dem Weg hin zur Party auf der steinernen Bank mit Blick aufs Meer saß. Ein schwarzes Abendkleid steht in scharfem Kontrast zum wallenden Haar, das über schmale Schultern fällt. Das blasse Gesicht ist unbewegt, leicht lächelnd und hat sich kaum verändert, als man Stunden später, nach der Party wieder an ihr vorbei kommt. Wartet sie auf jemanden, der davon nichts ahnt? Ist sie vergessen worden? Oder ist sie einfach ein PR-Gag?

Das fragt sich offenbar auch kurz Charlie Chaplin, watschelt dann aber müde weiter. Der kleine Mann mit Bowler und angeklebtem Bart hat sich den Spazierstock über die Schulter gehängt und zieht einen kleinen Wagen hinter sich her. Da steht er tagsüber drauf, ähnlich unbewegt wie die Blondine, lässt sich aber mit einem Euro zu einer neuen Position überreden oder auch zu einem gemeinsamen Foto.

Wenig fotogen ist dagegen der junge Mann, der gerade seine Sonnenbrille ins Gras gelegt hat, um sich ins Gebüsch zu übergeben. Ein Pärchen, das lauthals über den Sinn und Zweck des Filmfestivals diskutiert, ignoriert ihn freundlich. Ein paar Meter weiter bleibt es stehen, um sich leidenschaftlich zu küssen. Das kommt vor der Kulisse der Promenade nicht schlecht, vor allem ist die Mauer zum Strand des Nachts bunt beleuchtet. Nach einer Weile möchte man dann allerdings doch langsam "cut" rufen.

Palast eingezäunt

Verschämter Blick zur Straße, wo die Edelboutiquen in dunkler Stille liegen. Vor Chanel klappt gerade ein Straßengeiger seinen Kasten zu, ein paar Straßenlaternen weiter wird die Glühbirne ausgewechselt, Hostessen im verdienten Feierabend eilen lachend vorbei, und in den Palmen auf dem Mittelstreifen zirpen Grillen. Immer wieder stehen Sicherheitsleute herum: An den Hotelstrandzugängen, den Pavillons der Ländervertretungen, den Auffahrten zu den Nobelhotels und vor allem vor dem Palais de Festival. Der ist nun komplett eingezäunt. Der rote Teppich, über den am Abend zur Premiere von "Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels" unter anderem Harrison Ford, Steven Spielberg und Cate Blanchett geschritten sind, leuchtet im Halbdunkel fast rosa.

Auf den ersten Stufen liegt eine Bordeaux-Dogge namens Vulus. Vulus sei ein professioneller Wachhund, sagt Sicherheitsmann Fabrice, der jede Nacht des Filmfests hier steht. Manchmal kommen Betrunkene vorbei und wollen ihn überreden, sie auf den roten Teppich zu lassen. "Nur ein Foto, bitte." Aber er lässt sie natürlich nicht. Wenn seine freundliche Bestimmtheit sie nicht abwimmelt, hebt Vulus kurz den Kopf oder steht auf. "Dann ist Ruhe", sagt Fabrice und lacht.

Post-Festival-Blues

Am alten Hafen mit seinen sacht dümpelnden Booten ist es dann tatsächlich so, als würde die Stadt schlafen. Und die Spaziergänger gehören in ihre Träume des vergangenen Tages. Vor ein paar Jahren noch fiel Cannes nach dem Festival auch bei Tage in den Schlummer einer kleinen Küstenstadt zurück. Doch das sei nun vorbei, erzählte Narjiss Falcoz, PR-Chefin des Carlton-Hotels gerade dem Fachblatt "Variety". Früher sei Cannes nur zum Festival aufgewacht, doch mittlerweile gebe es viele große Veranstaltungen das ganze Jahr über. Die Zeit "des Post-Festival-Blues ist vorbei".

Einen kleinen Blues wird es nach all der Aufregung aber doch geben, sagt eine Bäckerin, die dankenswerter noch die letzten Croissants und Kaffee verkauft. Schließlich verdiene sie während des Festivals deutlich mehr als in den restlichen Monaten des Jahres. Welche Filme denn heute zu sehen waren, will sie wissen. "Gomorra", ein beeindruckender Episodenfilm über das Mafiagefüge in einem Wohnblock in Neapel und der vierte Teil von "Indiana Jones". Sie zuckt mit den Schultern, schaut schnuteziehend hinaus in die Nacht und fragt: "Kommen Sie nächstes Jahr wieder?"

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