Der 76-jährige französische Filmemacher Jacques Rivette präsentiert mit "Die Geschichte von Marie und Julien" ein weiteres Alterswerk. Wer die Arbeiten des Apotherkersohns, Kritikers und ehemaligen Chefredakteurs der berühmten Filmzeitschrift "Cahiers du Cinema" kennt, wird keine leichte, aber zauberhaft intelligente Leinwandkost erwarten. Und mit Emmanuelle Béart hat der 150-minütige Film einen Trumpf, auf den Rivette schon 1991 mit großem Erfolg gesetzt hat.
Die 39-jährige Französin spielte damals als "Die schöne Querulantin" wie auch jetzt genau das, was sie unvergleichlich kann, nämlich eine unergründlich erotische Schöne. Diese tritt in das Leben eines Mannes namens Julien, der sich auf das Restaurieren alter Turmuhren spezialisiert hat. Mit der leidenschaftlichen Marie erlebt der verschlossen wirkende Katzenfreund emotionale und sexuelle Abenteuer, auf die er wohl kaum noch gehofft hat. Irritierend allerdings ist es, wie Julien ungeniert eine elegante Stoffhändlerin erpresst, die mit gefälschter antiker Seide handelt.
Atmosphäre von Geheimnis und Abgründigkeit
Ausgerechnet zwischen der betrügerischen Händlerin und Marie gibt es eine mysteriöse Querverbindung. Welcher Art diese ist, darüber klärt der Film erst spät und reichlich spekulativ auf. Aber die Handlung ist bei Rivette-Filmen eigentlich gar nicht so wichtig. Was an diesen fasziniert, was ihren Reiz ausmacht, das ist die Atmosphäre von Geheimnis und Abgründigkeit, in der sich die Figuren eher wie Schlafwandler als in der Art dynamischer Zeitgenossen bewegen.
Der Hauptdarsteller wirkt fehlbesetzt
Erstmals zeigt der sonst diskrete alte Franzose sehr freizügige Sexszenen. Diese leiden allerdings wie der ganze Film daran, dass der männliche Hauptdarsteller Jerzy Radziwilowicz als Partner der hinreißenden Béart doch etwas unglaubwürdig wirkt. Was soll Marie an diesem dicklichen, verschwitzten und eher unsympathischen Einzelgänger eigentlich reizen? Diese Frage lässt den Betrachter gerade in den etwas verkrampften Intimszenen der beiden nicht los. Der renommierte polnische Schauspieler, der schon oft in Frankreich gearbeitet hat, ist als Darsteller für komplexe Charaktere sicher geeignet, hier aber fehlbesetzt.
Rivette selbst sieht das anders: "Die interessanten Paare sind die gegensätzlichen." Darüber mag man im konkreten Fall unterschiedlicher Meinung sein. Unwidersprochen sei aber die Aussage des Regisseurs: "An Geheimnissen haben wir nicht gespart." Bereits vor vielen Jahren hatte Rivette übrigens den ersten Versuch unternommen, diesen Liebesfilm zu realisieren, damals mit Leslie Caron und Albert Finney. Doch bereits am dritten Drehtag gab Rivette erschöpft auf und verschwand rätselhaft für zwei volle Jahre von der Bildfläche. Nun hat er mit "Die Geschichte von Marie und Julien" eine düstere Romanze geschaffen, die kein Massenpublikum, aber ihre Liebhaber finden wird.
("Die Geschichte von Marie und Julien" läuft ab Donnerstag, den 26. August 2004)