Melinda und Melinda Verwirrspiel zwischen Tragödie und Komödie

Woody Allens neustes Werk ist ein interessantes cineastisches Experiment. Der Altmeister erzählt die Geschichte einer jungen Frau auf zwei sehr unterschiedliche Weisen.

Dieser Erfolgsdruck würde andere lähmen, Woody Allen treibt er an: Seit 39 Jahren dreht der Regisseur Kinofilme; durchschnittlich ein Werk pro Jahr ist weltweit auf den Leinwänden zu sehen. Wirtschaftlich nicht immer erfolgreich, dafür mit Preisen überhäuft. Vier Oscars und 22 Nominierungen für den wichtigsten Filmpreis sprechen für sich. Bei jedem neuen Allen wird erneut eine Meisterleistung erwartet: Ein Fest paranoiden Humors, mit obligatorischem Seelenstriptease der Helden. Der 69-Jährige enttäuscht seine verwöhnten Fans und Kritiker mit seinem Film "Melinda und Melinda" nicht. Dabei bleibt er diesmal im Hintergrund und tritt nicht selber auf. Woody-Fans werden dies bedauern, doch seine Paraderolle als paranoider Neurotiker passte nicht in dieses wunderbare Verwirrspiel.

Vier Freunde sitzen abends in einer Bar, haben gut getrunken und gegessen. Sie streiten leidenschaftlich über die Frage, ob die Tragödie oder die Komödie der Wirklichkeit näher kommen. Die Antwort ertasten sie mit Hilfe zweier Varianten einer Liebesgeschichte, die die Autoren Sy und Al zum Besten geben. In beiden ist Melinda die Hauptfigur, erlebt ähnliche Dinge und doch läuft alles anders. Als Vorgabe bekommen die Erzähler den Einstieg in die Geschichte diktiert: Am Anfang platzt Melinda unangemeldet in eine Dinnerparty.

Zwei Filme in einem

"Melinda und Melinda" springt zwischen diesen beiden Geschichten und der fröhlichen Kneipenrunde hin und her. Trotz des vermeintlichen Chaos der Handlungsstränge kann der Zuschauer dem Film gut folgen. Denn nur Melinda (Radha Mitchell) tritt in beiden Episoden auf. Allen lässt nicht die gleiche Melinda unterschiedliche Ereignisse erleben, wie etwa die Heldin in "Lola rennt". Er zeigt zwei verschiedene Frauen und letztlich zwei unterschiedliche Filme in einem. Der verbale Wettkampf der Geschichtenerzähler bildet den Rahmen um die unterschiedlichen Episoden.

Der Komödienschreiber Sy bleibt seiner Branche treu. Seine Melinda platzt in die Feier von Regisseurin Susan (Amanda Peet) und Schauspieler Hobie (Will Ferrell). Während Susan einem reichen Immobilienmakler ihr geplantes Filmprojekt schildert und ihn zum Einstieg überreden will, klingelt Nachbarin Melinda an der Wohnungstür. Sie hat aus Liebeskummer eine ganze Schachtel Schlaftabletten geschluckt und braucht Hilfe. Ein dramatischer Anfang für eine Beziehungs-Komödie. Hobie entdeckt, wie aufregend anders Melinda ist. Als Susan die neue Nachbarin mit einem wohlhabenden Zahnarzt verkuppeln will, versucht Hobie dies zu verhindern. Er will Melinda seine Liebe beichten, doch die scheint schon in anderen Armen ihr Glück gefunden haben.

Tragik pur

So komisch die erste Variante ist, so tragisch ist die zweite. Melinda ist ein völlig anderer Mensch als ihre vermeintliche Zwillingsschwester. Es spricht für die schauspielerische Leistung von Radha Mitchell, dass beide Melindas keinerlei charakterliche Ähnlichkeiten aufweisen. In der zweiten Episode kommt die junge Frau nicht nur ungebeten zur Party, sondern quartiert sich bei den Gastgebern Lee (Jonny Lee Miller) und Laurel (Chloë Sevigny) gleich ein. Die Musikerin Laurel ist eine alte Schulfreundin von Melinda, die vor ihrem verpfuschten Leben auf der Flucht ist. Lee ist, wie sollte es anders sein, ein erfolgloser Schauspieler. Melinda, hypernervös und anstrengend überdreht, hat nach einer Affäre mit einem italienischen Fotografen nicht nur ihren Mann, sondern auch das Sorgerecht für ihre beiden Kinder verloren. Kurzum: sie ist völlig am Ende. Als sie endlich einen verständnisvollen, zärtlichen Mann gefunden hat, wird ihr Glück ausgerechnet durch Laurel zerstört. Tragik pur.

Allen hat zwei Filme in einander gewoben. Dieses interessante cineastische Experiment wirkt wie viele seiner Filme neu, ohne gezwungen anders daherzukommen. Der Klarinettist stellt sein im Jazz erprobtes Improvisationsvermögen und seine oft gerühmte Kreativität unter Beweis. Mit früheren Filmen wie "Manhattan" oder der "Der Stadtneurotiker" verbindet "Melinda und Melinda" nur die Allen-typischen Grundthemen. Der 1935 in Brooklyn geborene Regisseur forscht wie in den meisten seiner 40 Filme auch in "Melinda und Melinda" nach Grundpfeilern des menschlichen Zusammenlebens: Liebe, Kommunikation und Sex. Dabei erleben alle Figuren ein Wechselbad der Gefühle: Glück folgt auf Depression, Zuneigung auf Abscheu.

Großartige Darsteller

Im ausgezeichneten Schauspielerensemble ragen Radha Mitchell und Will Ferrell hervor. Beide haben in Hollywood den Durchbruch noch nicht geschafft und bekamen mit dem von Allen selbst geschriebenen Drehbuch und seiner charmanten Inszenierung die Chance, sich nachhaltig in der Branche zu empfehlen. Diese haben sie genutzt. Ferrell hat sein komödiantisches Talent bereits in der Show "Saturday Night Live" bewiesen. Unter Allens Regie blüht er richtig auf. In "Melinda und Melinda" taumelt er immer wieder brillant von einer Peinlichkeit in die nächste. Der komödiantische Höhepunkt ist Hobies Versuch, Melinda und ihr Sexualleben auszuspionieren. Nur im Bademantel bekleidet lauscht er an ihrer Tür. Melinda hört draußen merkwürdige Geräusche und öffnet die Tür. Hobie drückt sich an die Wand und hält die Luft an. Melinda entdeckt ihn nicht, schließt die Tür und klemmt Hobies Bademantel ein. Melinda findet am nächsten Morgen einen verdächtigen Stofffetzen in der Tür.

"Melinda und Melinda" begeisterte bereits die Juroren der Filmfestspiele in San Sebastian und Santa Barbara. Auch die Kritiker sind voll des Lobes. Für viele Filmexperten steht fest, das der 39. Allen zu den besten Filmen des Regisseurs zählt. Dieser zeigte sich wie immer von den Ehrungen unbeeindruckt und drehte weiter. "Match Point" mit Scarlett Johansson, Film Nummer 40, wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gezeigt. Die Dreharbeiten zu Nummer 41, "Why Men Shouldn't Marry", haben gerade begonnen. Diesmal mischt Allen auch wieder vor der Kamera mit. Auch mit bald 70 will Allen nicht in den Ruhestand gehen. Für das Kino wäre dies auch ein großer Verlust.

Hauke Friederichs

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