"Wir sind frei" verkündet Blumfeld auf der aktuellen, gleichnamigen Single. Inhaltlich wie klanglich liegt der luftige Popsong meilenweit entfernt von "Ghettowelt", der ersten Single der Hamburger Band aus dem Jahr 1991. Zu abstrakt dichtete Band-Chef Jochen Distelmeyer damals, zu sperrig klangen die Songs, um bei einem größeren Publikum anzukommen. Das hat sich grundlegend geändert: Die Band trat bei der RTL-Fernsehshow "Top of the Pops" auf und hat hohe Chart-Notierungen hinter sich. Ihrem fünften Album "Jenseits von Jedem" wird seit Monaten auch weit außerhalb von Insiderkreisen entgegengefiebert.
Auch wenn die elf Songs der neuen Platte durchweg eingängig, mitunter sogar radiotauglich klingen: Vom Biss, der oft auch ins Politische geht und Blumfeld seit jeher auszeichnet, hat die zum Trio geschrumpfte Band nichts verloren. "Die Träume enden in den Charts, wem dienen eure Lieder? Ein Höhenflug und dann: Das war's, die Erde hat euch wieder." reimt Distelmeyer zwar nicht explizit, aber doch unverhohlen in Richtung musikalischer Eintagsfliegen, die innerhalb weniger Wochen zu "Superstars" hochgejubelt werden.
Der Song "Armer Irrer" dreht sich um Obdachlose vor dem Supermarkt, in "Jugend von heute" leistet sich Distelmeyer einen Seitenhieb auf Teenager, wie er sie - wahlweise einen Tick zu altersweise oder aber mit einem Augenzwinkern - sieht: "unaufhaltsam und schön", aber trotzdem "zu nichts zu gebrauchen". Mit dem knapp viertelstündigen, von Bob Dylan inspirierten Titelstück sprengt Blumfeld das Popsong-Format, und am Ende des Albums steht die zärtlich-optimistische Ballade "Die Welt ist schön."
Meilenstein des deutschsprachigen Pop
Mit Balladen gelang der Band nach Achtungserfolgen im In- und Ausland 1999 auch der endgültige Durchbruch: Das dritte Album "Old Nobody" erinnerte viele an George Michael und an die Münchener Freiheit. Distelmeyer wies die Vergleiche keineswegs von sich. Heute gilt das Album als Meilenstein der deutschsprachigen Popmusik. Hörer, die das abstreiten, geben oft nicht etwa einer anderen Band den Vorzug, sondern dem zweiten Blumfeld-Album "L'état et moi".
Auftritt bei "Top of the Pops"
War "Old Nobody" von Liebesliedern wie "Tausend Tränen tief" geprägt, kamen auf "Testament der Angst" vor zwei Jahren dunklere, aggressivere Töne zum Klingen. "Wo kommen all die grauen Wolken her?" sang Distelmeyer damals - ausgerechnet im bunten Teenie-Format "Top of the Pops". Weder der euphorischen Stimmung bei den folgenden Konzerten, noch dem Erfolg bei den Käufern tat das einen Abbruch: "Graue Wolken" erreichte die Single-Charts, das Album kletterte sogar bis auf Platz sechs.
Eine Wiederholung dieses Erfolgs scheint mit "Jenseits von Jedem" möglich - nicht zuletzt, weil die Akzeptanz deutschsprachiger Popmusik abseits des Mainstreams auf einem neuen Höhepunkt angelangt ist. Aktuellstes Beispiel dafür ist die Band Wir Sind Helden, deren Album "Die Reklamation" seit Wochen in den deutschen Top-Ten steht. Die Tür zu solchen Erfolgen hat in den 90ern Blumfeld aufgestoßen. Heute gibt sich Distelmeyer beim Thema Erfolg demonstrativ gelassen. Der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte er: "Für uns gibt es andere Kontinuitäten als die Kontinuität, wochenlang auf Platz eins zu sein."