Das Saxofonspielen brachte er sich selbst bei. Das Notenlesen auch. Auch für die Musiktheorie und die Harmonielehre hatte er keinen Lehrer. Und trotzdem wurde aus dem mittellosen schwarzen Jungen, der mit 19 von zu Hause abhaute, einer der prägendsten Jazzspieler des 20. Jahrhunderts. Ornette Coleman ist der Vater des Free Jazz, ja er gab ihm sogar den Namen. Jetzt (9. März) wird der Amerikaner 80 Jahre alt.
Free Jazz ist, vorsichtig gesagt, nicht jedermanns Sache. Übliche Hörgewohnheiten werden strapaziert, wenn jeder der Musiker improvisiert und seine Gedanken und Gefühle in Tönen ausdrückt. Wer mit Bach oder Schubert aufgewachsen ist, steht erst einmal etwas ratlos vor der vielleicht amerikanischsten und schwärzesten aller Musikrichtungen. Aber vermutlich ist auch keine so bunt und ausdrucksstark wie der Free Jazz, so bildlich und beschreibend.
Ornette war 14, als mit dem Saxofonspiel begann. Welche Tasten er zu drücken hatte, fand er durch probieren und üben heraus. Die Noten lernte er aus Büchern der Bibliothek und wieder vor allem durch Selbsterfahrung. Weil er in Texas keine Zukunft sah, verließ er seine Heimat mit 19 und suchte in Kalifornien eine neue. Hilfsjobs mussten für das tägliche Brot sorgen, aber nebenbei brachte Colemans erste Band ein paar Dollar. Und vor allem die große Chance: Als eine Plattenfirma in den Fünfzigern ein Stück der Jungs kaufte, durften sie es auch gleich selbst einspielen.
Die Szene wird auf den jungen Schwarzen aufmerksam, und es folgt die Karriere, die sich so viele Jazzmusiker wünschen. Weitere Auftritte machen Coleman bekannter, das junge, unkonventionelle Label Atlantic Records nimmt ihn unter Vertrag, und schließlich darf er sogar im "Five Points", dem legendären Jazzclub im New Yorker East Village, spielen. Es ist der Biss in den "Big Apple" für Colemann, sein Durchbruch.
Die Revolution ereignete sich vier Tage vor Weihnachten 1960. Zusammen mit acht anderen Musikern nimmt Coleman "Free Jazz: A Collective Improvisation" auf. Dass erstmals eine Komposition über beide Seiten der Schallplatte ging, war nur ein Randaspekt. Wichtiger war der Freiraum, den jeder der neun Musiker hatte. Selten spielt die ganze Band zusammen, meistens hat ein Instrument Platz und Zeit für ein Solo. Dabei nimmt jeder Musiker das Thema seines Vorgängers mehr oder weniger auf, verarbeitet es und gibt es an den nächsten weiter. Das Produkt sind musikalische Unikate, wegen ihrer äußeren Einflüsse - Stimmung, Zeit, Verfassung der Musiker - kaum reproduzierbar. Die Platte gibt gleich dem ganzen Genre den Namen: Free Jazz.
Für Neues war Coleman immer zu begeistern. So versucht er sich auch mit Trompete und der im Jazz seltenen Geige, wagt sich, quasi als Gast, in die Rockmusik, macht Filmmusik und ein Ballett und lässt seine Musik sogar von den New Yorker Philharmonikern mit Kurt Masur spielen. Bei den eigenen Platten wird Coleman wählerischer: Während er anfangs drei in einem Jahr einspielte, war vor seiner letzten, "Sound Grammer" ("Klanggrammatik") von 2006, zehn Jahre Pause. Offenbar war es eine gute Idee, das Werk reifen zu lassen: Für die in Deutschland aufgenommene Platte wurde Coleman ein Jahr später mit dem Pulitzer-Preis für Musik geehrt.