Till Lindemann ist für viele Menschen offenbar noch immer ein rotes Tuch. Als bekannt wurde, dass der Rammstein-Sänger als VIP beim Leipziger Opernball eingeladen ist, formierte sich prompt Widerstand. Initiativen kündigten an, gegen den "Täter-Ball", wie sie ihn nennen, protestieren zu wollen. Und das, obwohl Lindemann keineswegs auf der Bühne stehen soll, sondern einfach nur ein Gast der Veranstaltung ist. Es ist eine Stigmatisierung, die endlich enden muss.
Rückblick: Mitte 2023 wurden Vorwürfe gegen die Band Rammstein und ihren Sänger laut. Mehrere Frauen warfen den Musikern und insbesondere ihrem Frontmann Lindemann Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe auf Partys nach ihren Konzerten vor. Die Band bestritt die Anschuldigungen, äußerte sich ansonsten aber nicht. Auch Anzeigen gab es keine. Die Berliner Staatsanwaltschaft begann zwar Ermittlungen, stellte sie nach einiger Zeit mangels hinreichenden Tatverdachts wieder ein. Lindemann ist also bis heute kein Straftäter. So viel zur Theorie.
Der Skandal um Till Lindemann war viel mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung
Natürlich war und ist der Fall abseits der Justiz deutlich komplizierter. Die Vorwürfe, die gegen die Band erhoben wurden, waren meist anonym, weil die mutmaßlichen Opfer Angst davor hatten, in der Öffentlichkeit zu stehen – verständlich. Ihr Beschreibungen waren in sich schlüssig. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Das hat sich bis heute nicht geändert. Was sich allerdings auch nicht geändert hat, ist, dass keine der Anschuldigungen nachgewiesen werden konnte.
Natürlich muss auch für Lindemann die Unschuldsvermutung gelten. Diese Phrase ist in der damaligen Zeit aber zu oft von Menschen bemüht worden, die ihr Idol bedingungslos in Schutz genommen haben und den Frauen, die Vorwürfe erhoben haben, nicht einmal zuhören wollten. Doch wenn Lindemann nun, nach mehr als zwei Jahren, immer noch nicht als Privatperson auf eine Veranstaltung gehen kann, ohne dass diese in Sippenhaft genommen wird, haben wir ein Problem.
Hinter den Protesten steht eine vielleicht viel größere Frage
Wer den Leipziger Opernball nun als "Täter-Ball" bezeichnet, weil Lindemann daran teilnimmt, sagt damit, dass er den Rechtsstaat nicht akzeptiert. Lindemann ist kein (verurteilter) Täter. Wer das ignoriert, stellt eigene moralische Werte über die Justiz.
Dahinter steht aber eine noch viel größere Frage: Wie gehen wir als Gesellschaft mit resozialisierten Personen um? Gliedern wir sie wieder ein? Stellen wir ihren Ruf wieder her? Oder nehmen wir hin, dass sie für immer gebrandmarkt sind – ob sie nun für eine Strafe verurteilt wurden und diese verbüßt haben – oder erst gar nicht auf der Anklagebank saßen und nur Vorwürfe im Raum standen?
Till Lindemann hat garantiert nicht alles in seinem Leben richtig gemacht. Das gilt sicherlich für ihn, genauso wie für uns alle. Doch auch dieser millionenschwere Rockstar hat ein Recht darauf, vorurteilsfrei behandelt zu werden. Wie wir alle.