Brauchen Sie einen Kaffee?" fragt der ölige Herr Berger den verschlafenen Stedefreund. Wir schreiben etwa die 40. Minute der neuesten "Tatort"-Folge aus Bremen und Koffein ist in der Tat das Gebot der noch gar nicht so späten Stunde. Wieviele Zuschauer in diesem Moment wohl instinktiv mit Stedefreund zusammen gegähnt haben mögen, da zu erahnen ist, dass dem als Tatort getarnten Dialogdrama um alternative Energien und deren Folgen der Wind wohl eher nicht so arg die Segel blähen wird.
Allein für die persönlichen Verbindungen und Verbandelungen der Protagonisten bräuchte man eine dieser wandfüllenden Fotocollagen, die unter den Ermittlern der Postmoderne so hip geworden sind. Helmut Zierl gibt den verbohrten Öko-Aktivisten Henrick Paulsen, der Tierschutz gegen Klimaschutz stellt, Lars Overbeck (Thomas Heinze) ist ein Ex-Mitkämpfer, der die Seiten gewechselt hat und in Offshore-Windenergie macht, Paulsens Ex, Katrin Lorenz (Annika Blendl), auch ökologisch engagiert, aber mittlerweile in einem öffentlichen Ausschuss, bandelt mit dem Tierschützer Kilian Hardendorf (Lucas Prisor) an, der wiederum bei ihr im Garten zeltet und irgendwie gegen alles ist.
Ein Toter in der Kommandozentrale
Und dann ist da noch ein gewisser Pico, der mit drei Löchern in der Brust in der Kommandozentrale der Umwelt-Aktivisten gefunden wird. Zur gleichen Zeit kraxelt Paulsen auf eines der gigantischen Windräder, dreht einen letzten Videoblog-Eintrag über diese gigantischen "Vogelschredder", die ganzen Generationen von Seevögeln mit ihren Rotorblättern den Garaus machen - und verschwindet selbst spurlos.
Das sich anschließende Wer-macht-was-Puzzle jedoch scheint seine eigentliche Bestimmung völlig aus den Augen zu verlieren. Der Spannungsbogen zerbröselt schneller als man "Atomkraft - Nein Danke" sagen kann, stattdessen schiebt Regisseur Florian Baxmeyer sein Personal durch die Szene wie Tipp-Kick-Spielfiguren Hier wird geschimpft, da wird mit den Zähnen geknirscht und woanders geflennt, geflucht, geflunkert. Nur - zu einer echten Story, zu einem Krimi bekommt er es nicht verdrahtet.
Leichenquote über Tatort-Durchschnitt
Dabei gibt sich das Ensemble auch bar jeder nachvollziehbaren Gründe für sein Handeln alle Mühe, ein wenig Dampf ins Drehbuch zu bekommen. Rafael Stachowiak mäandert wunderbar irre zwischen skrupellosem Hedgefonds-Hasardeur und Omas Liebling, Annika Blendl und ihren großen, traurigen Augen möchte man Wagenladungen von Papiertaschentüchern reichen und Thomas Heinze? Dem scheint es völlig wurscht zu sein, dass seine Augenbrauen mit der Schuhputz-Bürste gefärbt wurden, der hängt und wirft und schmeisst sich in seine Zeilen, als hätte man ihm gedroht, er müsse andernfalls ein Remake von "Allein unter Frauen" drehen.
Nur Helmut Zierls Öko-Aktivist - bei aller Liebe zur Natur - der steht in seinen Videoblog-Monologen dem gütigen Märchenonkel Hans Paetsch dann doch irgendwie näher als einem manischen Treehugger oder todessehnsüchtigen Weltenretter. Da und dort scheint es Baxmeyer dann doch aufzugehen, dass man hier beim Kriminalfilm ist und so lässt er in beinah absurd anmutenden Eruptionen zwei, drei Mal seine Darsteller aufeinander losgehen und täuscht ein wenig Haudrauf-Action vor, die so plakativ daherkommt wie die jene Flugblätter, die alle zehn Minuten durchs Bild gereicht werden.
Und auch wenn die Leichenquote gen Ende deutlich über dem Tatort-Durchschnitt liegt und die atmosphärischen Kamerafahrten über die Nordsee mit Blickrichtung Windräder wirklich Format haben - der im Titel gesäte Sturm entpuppt sich am Ende nur als eher laues Lüftchen.