"Menschen bei Maischberger" Als Hape Kerkeling sein Fernsehgesicht verlor

Von Rüdiger Barth
Hape Kerkeling erzählt bei Maischberger aus Kindheit und Karriere. Eine merkwürdige Sendung, halb Lebensbilanz, halb Nummernrevue, mit Momenten großer Intensität - und einer eindeutigen Botschaft.

Hape Kerkeling, der souveränste und lustigste deutsche Entertainer, ist in diesen Tagen in eigener Sache unterwegs. Eine Autobiografie hat er gerade veröffentlicht, noch nicht mal 50 Jahre alt, was mag ihn dazu getrieben haben? Am späten Dienstagabend sitzt er bei Sandra Maischberger, es ist der erste Fernsehauftritt nach dem großen Gespräch im neuen stern. Maischberger ist immer eine gute Wahl. Maischberger kann zuhören, kann präzise fragen, sie kann die Augenbrauen so schwungvoll hochziehen, dass Gäste wie von selbst weiterreden. Zunächst aber scheint sie durch diese Sendung reiten zu wollen wie durch eine Kerkeling-Nummernrevue. Es geht ein bisschen um die skurrile Oma Änne, es folgen ein paar Ausschnitte von Hape als Königin Beatrix, wieder springt sie zurück zur Oma, und Kerkeling darf sagen, was er in ihrem Krämerladen als kleines Kind erfahren habe: "datt dat Leben nicht leicht ist." Er sitzt bequem im Studiosessel, Hemd über der Hose, glänzendes Showmaster-Jacket, Jeans, die Beine übereinander geschlagen, abwartend. Nur im Gesicht zuckt es.

Fernsehstars sind Neugierde gewohnt. Fast immer achten sie bei der Selbstvermarktung auf Kontrolle und Balance, sie wollen keine Nähe erzeugen, nur die Illusion von Nähe - sich zeigen, ohne sich zu entblößen. Geschichten preisgeben, ohne sich selbst preiszugeben.
Kerkeling aber ist nervös.

Eine öffentliche Selbsttherapie

An diesem Montag ist seine Autobiografie erschienen ("Der Junge muss an die frische Luft", Piper), und rasch war sie in den Amazon-Charts ganz oben zu finden. Dieses Mal widmet er sich nicht erleuchteten Gedanken auf dem Jakobsweg, sondern den Erlebnissen seiner teils behüteten, teils traumatischen Kindheit in Recklinghausen. Unter anderem schildert er darin, wie er den Freitod seiner Mutter Margret erlebte, als Kind von acht Jahren.

Hape Kerkelings Humor schöpft mehr aus der Selbstironie als der Schadenfreude. Er sei, so heißt es, einer der freundlichsten Menschen in der Fernsehzunft, und der Ton seines neuen Buches ist erdnah, bescheiden. Die 4,8 Millionen Exemplare, die er mit dem Jakobsweg verkauft hat, dürften beim Schreiben Ansporn wie Bürde gewesen sein. Sein zweites Buch hat acht Jahre auf sich warten lassen. Nun hat er es vorgelegt, mit dem Stoff, der sein Leben ist. Über mehrere Seiten ist die erschütternde letzte Nacht beschrieben, wie der Sohn im Bett an der Seite der um ihr Leben ringenden Mutter leidet, unfähig zu helfen.

Ein Engel, ein Seemann

Bei Maischberger will Kerkeling wie schon zuvor im stern zu den Details dieser Nacht nichts sagen. Es sind in dieser Sendung dennoch Minuten von großer Intensität. Kerkeling legt die Stirn in Falten, verengt die Augen, konzentriert, auch bewegt; man würde ihn beim zufälligen Reinzappen kaum erkennen. Er verliert für wenige Momente sein Fernsehgesicht. Im Hintergrund das Foto seiner lachenden Mutter, die "gesungen habe wie ein Engel, gelacht wie ein Seemann", wie Kerkeling an einer Stelle im Buch schreibt. Die nach einer Operation ihren Geruchs- und Geschmackssinn verloren gehabt habe und in Depressionen versunken sei, damals habe niemand ihr helfen können. 1973 war das, mehr als 40 Jahre her.

"Wie soll ich das schreiben", erzählt Kerkeling nun Maischberger, "wie soll ich das verarbeiten, habe ich das überhaupt verarbeitet?" Das "starr sein" seiner Mutter, davon erzählt er, von der "schier unerträglichen Lähmung", die sie befallen habe. Und dann ihr Tod, als Folge einer Überdosis Schlaftabletten. Schon will Maischberger überleiten, da sagt Kerkeling noch diesen rätselhaften Satz: "Es fühlt sich für mich an wie eine nicht sichtbare Kriegsverletzung." Doch die Interviewerin hakt nicht nach, was er damit meint - eine vertane Chance.

Eine Frage wird vor allem nicht beantwortet: Warum Kerkeling, der den "Presseaufschlag" der letzten Tage beklagt, die Details der Nacht überhaupt seinen Lesern zumutet. Das Schreiben habe ihm geholfen, das Erlebte endlich zu verarbeiten, sagt er. Und in der Tat kann Schreiben ja therapeutische Wirkung haben. Aber warum das sich so Entwrungene dann publizieren? Warum das voyeuristische Interesse des Publikum erst zielbewusst bedienen, um dieses dann zu beklagen?

Er wolle andere Menschen bestärken, sagt Kerkeling, und schiebt hinterher: "Ich schulde meinen Fans die Wahrheit." Noch wenige Jahre zuvor hatte er in Interviews gesagt, seine Mutter sei an einem Gehirntumor gestorben. Aber: Schuldet ein Star seinen Fans wirklich die Wahrheit?

Nun leset das Buch

Wer Fan von Hape Kerkeling ist, wird sein Idol nach Lektüre dieses Buches mit anderen Augen sehen. Das Buch kaufen muss er dafür allerdings schon. Kerkeling ist, dies zeigt der Auftritt bei Maischberger, ein ernsthafter und reifer Mann, für viele womöglich überraschend ernsthaft. Aber ganz nebenbei ist dieser Kerkeling auch ein Meister des Verkaufs seiner eigenen Erzählungen.

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