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"Tatort"-Kritik Räuberpistole mit Pilcher-Romantik

Die wundersame Wandlung der Inga L.: Die zänkische Bremer "Tatort"-Kommissarin entdeckt die Sonnenseiten des Lebens, während eine Firmenchefin beim Raubüberfall ermordet und eine Prostituierte erstochen werden. "Königskinder" ist an Trivialität kaum zu überbieten.
Von Kathrin Buchner

"Tatort"-Kommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) stürzt die Treppe im Kommissariat hinunter und - oh Wunder - bleibt unverletzt, aber ist blitzartig von Sanftmut überfallen. All das Stänkern und Rumzicken, das Nerven und Nöhlen, das die launische Kommissarin in der Vergangenheit auszeichnete, ist mit einem Schlag verschwunden. Altersmilde entdeckt sie die Freuden des Alltags, zupft genüsslich an einer Orange, als ob sie solch Köstlichkeit noch nie in ihrem Leben genießen durfte, lässt am Strand den Sand durch die Finger rieseln und verbringt die Nacht mit dem Arzt Adrian (Peter Kremer), einem Weißkittel mit Machosprüchen und dem Charme eines in die Jahre gekommenen Dr. Brinkmanns aus der Schwarzwaldklinik. Der wird sich am Ende auch noch todesmutig für sie ins Schussfeld werfen und mit seinem eigenen Körper die für die Kommissarin bestimmte Kugel abfangen.

Doch bis dahin muss Lürsen noch in einer ebenso hanebüchenen Krimiklamotte ermitteln, die Regisseur und Autor Thorsten Näter nach dem Groschenroman-Prinzip entwickelt hat. Stereotype Charaktere und Handlungsstränge wie aus einem Karteikartensystem fügt er zu einer Räuberpistole zusammen, die man mit ganz viel gutem Willen noch als "süffig" bezeichnen könnte: Männer mit Masken überfallen die Villa eines Unternehmer-Yuppie-Pärchens, das gerade Sex hat. Die Frau wird erstickt, der Mann kann sich befreien und knallt den Bandenchef ab. Der einst so sanftmütige, aber jahrelang von seiner Gattin gedemütigte Unternehmer hat eine Affäre mit seiner Sekretärin, mutiert zum eiskalten Killer und tarnt den Mord mit einer inszenierten Einbruchserie als Raubüberfall mit zufälliger Todesfolge.

Ein Obdachloser taucht auf, der zufällig über das Diebesgut aus den Einbrüchen stolpert und es verscherbelt. Dann sticht der Killer-Unternehmer einer russischen Prostituierten, die zu viel wusste, auf offener Straße das Messer in den Bauch - und keiner hat's bemerkt.

Verschont uns mit Privat-Gedöns

Verlorene Liebe, Eifersucht und Rache, "Spielfutter" nennt Regisseur Näter die Bestandteile seiner kruden Story. Dieses Futter habe die Funktion, die Figuren der Ermittler weiterzuentwickeln. Kommissar Niels Stedefreund (Oliver Mommsen) darf in seiner Vergangenheit herumstochern, die Tote war eine alte Liebe von ihm, und über Sehnsüchte, die Erfüllung von Lebensplänen und verlorene Verbindungen sinnieren. Lürsen, von neuer Liebe und Lebenslust beflügelt, entwickelt gar seherische Fähigkeiten und legt sich mit Perücke ins Krankenbett, um dem Täter eine Falle zu stellen. Stedefreund lauert derweil hinter einem Vorhang, sein Schatten zeichnet sich überlebensgroß ab. Das ist der Höhepunkt einer dilettantischen Inszenierung auf dem Niveau eines Schülertheaters. Liebe "Tatort"-Macher, bitte verschont uns mit den persönlichen Verstrickungen der Ermittler in die Mordfälle und kitschigen Romantikstorys à la Rosemunde Pilcher. Gebt uns endlich eine Ermittlerin, die einfach nur eine intakte Beziehung führt und Fälle ohne Privat-Gedöns löst.

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