Erstmals in der Geschichte wurden vom 20. November 1945 bis zum 01. Oktober 1945 Politiker und Militärs sowie Parteifunktionäre wegen der Vorbereitung eines Angriffskriegs und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht gestellt. Die vier alliierten Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich bildeten in umfangreichen Vorverhandlungen einen Internationalen Gerichtshof, in dem viele einen Vorläufer des 2002 eingerichteten Internationalen Gerichtshofs in Den Haag sehen. Der Zweiteiler "Auf den Spuren der Geschichte" (ARTE F, Autor: Alfred de Montesquiou) würdigt 80 Jahre nach dem Ereignis die enormen Anstrengungen der Alliierten und zeichnet dabei zugleich die Spannungen zwischen den Westmächten und den Sowjets anhand journalistischer Berichterstatter nach.
Dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher folgten nach 1946 weitere zwölf "Nachfolgeprozesse", in denen etwa die Vergehen der Nazijustiz und der NS-Ärzte vor einem amerikanischen Gerichtshof getrennt verhandelt wurden. In der Rolle eines deutschen Verteidigers brillierte Maximilian Schell bekanntlich in dem Stanley-Kramer-Film "Urteil von Nürnberg", in dem es um medizinische Verbrechen ging. Für den Part wurde dem Schauspieler der Oscar verliehen. Im ARTE-Zweiteiler sitzen allerdings Nazi-Größen wie Hermann Göring, Rudolf Heß, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg oder Julius Streicher auf der Anklagebank, um einige der im Nürnberger Justizgefängnis nach ihren Schuldsprüchen Gehenkten zu nennen.
Wer sich eine juristische Analyse des Hauptkriegsverbrecherprozesses verspricht, wird wohl eher enttäuscht. Erst die am 27. November 1945 im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes vorgeführten Filmbilder von der Befreiung deutscher Konzentrationslager gehen unter die Haut. Die Aufnahmen amerikanischer Kriegsberichterstatter sind kaum erträglich, es ergeht hier den Zuschauern ebenso wie den Prozessteilnehmern von Nürnberg bei der ersten Besichtigung. Zum ersten Mal wurden in diesem Prozess Filmbilder amerikanischer und sowjetischer Teams als Beweismaterial verwendet.
An dieser Stelle wird deutlich, dass es kaum möglich ist, Sühne für das geschehene Unrecht zu leisten oder Gerechtigkeit walten zu lassen. Der Wahnsinn ist mit menschlichen Maßstäben keineswegs zu messen. Umso größer muss die Hochachtung vor den akribisch arbeitenden Klägern und Richtern von Nürnberg sein.
Der Nürnberger Schwurgerichtssaal 600 als Memorial
Dem gegenüber wirken die Beschreibungen der angereisten internationalen Reporter, im Film meistens in Schlagzeilen verkündet, eher klein. Foto- und Bildjournalisten, nicht weniger als 300 an der Zahl, verfolgten den Prozess. Im riesigen Faber-Castell-Schloss in Stein stiegen sie ab und mussten dort fast ein Jahr lang verharren. Journalistinnen lebten getrennt in einer Villa im Park des riesigen Grundstücks, das die Nazis einst unter Beschlag genommen hatten. Der Justizpalast war sechs Kilometer entfernt, Busse führten die Berichterstatter durch eine Mondlandschaft aus Trümmern, in der einsam eine Statue Albrecht Dürers stand.
Wie schon im ARD-History-Film "Nürnberg '45" kommt dem mehrfach renovierten Schwurgerichtssaal 600 im Nürnberger Justizpalast eine besondere Rolle zu. Damals war der Saal für viele hundert Personen – Angeklagte, Verteidiger, Richter, Simultanübersetzer sowie Journalisten -erweitert worden. Inzwischen ist er kaum wiederzuerkennen und wirkt so museal wie seine Bestimmung als Erinnerungskultur.
Dass in kurzer Zeit mehrere Filme anlässlich des 80. Jubiläums der Nürnberger Prozesse gesendet werden, ist nicht erstaunlich. In der ARD näherte man sich dem Sühneversuch mit einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm an, bei ARTE nun mit einer "Wiederentdeckung" der Berichterstattung von damals von ganz außen her. Beides wird aber wohl aus Gründen der Zuschauerfreundlichkeit dem Ausmaß des Geschehens nicht wirklich gerecht. Die sogenannte "Erinnerungskultur" wird immer schwieriger, das steht außer Frage.
Auf den Spuren der Geschichte: Die Nürnberger Prozesse (1/2) – Di. 18.11. – ARTE: 20.15 Uhr