Seit dem 2. Dezember ist die vierteilige Dokumentation "Sean Combs: The Reckoning" auf Netflix verfügbar. Produziert von Rapper Curtis "50 Cent" Jackson, einem langjährigen Widersacher von Combs in der Rap-Szene, lässt die Doku-Serie Wegbegleiter und mutmaßliche Opfer von Combs vor der Kamera zu Wort kommen. Selbst zwei Geschworene aus seinem vielbeachteten Strafprozess sprechen über ihre Sicht der Dinge.
Private Aufnahmen von P. Diddy – rechtmäßig erworben?
Schon vor der Veröffentlichung von "Sean Combs: The Reckoning" zeigte ein Trailer zum Netflix-Programm Sean "Diddy" Combs wenige Tage vor seiner Verhaftung. Der Hip-Hop-Mogul wirkt angespannt, hat in einem Hotelzimmer ein Team aus Vertrauten und Anwälten um sich versammelt, das ihn retten soll. "Wir verlieren", erklärt er und verlangt nach "jemandem, der mit uns zusammenarbeiten wird, und der sich mit den schmutzigsten der schmutzigen Geschäfte auskennt".
Diese Aufnahmen hatte Sean Combs persönlich in Auftrag gegeben. Die Frage ist, wie die Doku-Macher an sie gekommen sind. "Die sogenannte 'Dokumentation' von Netflix ist eine beschämende Verleumdungskampagne", ließ Combs über einen Sprecher ausrichten. "Netflix hat sich auf gestohlenes Filmmaterial gestützt, dessen Veröffentlichung nie genehmigt wurde. Wenn Netflix sich um die Wahrheit oder um die gesetzlichen Rechte von Herrn Combs kümmern würde, würde es keine privaten Aufnahmen aus dem Zusammenhang reißen – darunter auch Gespräche mit seinen Anwälten, die niemals für die Öffentlichkeit bestimmt waren."
Doch Alexandria Stapleton, die Regisseurin von "Sean Combs: The Reckoning", beteuerte ihrerseits, dass das Filmmaterial auf legalem Weg erworben worden sei. Auf Nachfrage wollte sie jedoch keine Details preisgeben.
Zahlte Combs die Beerdigung seines Freundes Notorious B.I.G. aus dessen Nachlass?
An vielen Stellen der Netflix-Dokumentation geht es auch um Sean Combs' Beziehung zu Rap-Ikone Christopher Wallace (1972-1997), auch bekannt als Notorious B.I.G. oder Biggie. Laut Kirk Burrowes, einem Mitgründer des Labels Bad Boy Records, habe Combs nach dessen Ermordung erklärt, er werde "die größte Beerdigung für Biggie ausrichten, die New York je gesehen hat".
Doch nachdem er die Kosten für die Beisetzung gesehen hätte, habe Combs dem Nachlass des Rappers die Beerdigung in Rechnung gestellt. Seine Erben mussten somit dafür aufkommen.
Sängerin Aubrey O'Day: "Ich weiß nicht, ob ich vergewaltigt wurde"
Sängerin Aubrey O'Day, früher Mitglied der von Combs ins Leben gerufenen Gruppe Danity Kane, erklärt in der Doku, sie habe von ihrer angeblichen Vergewaltigung durch die eidesstattliche Erklärung eines anderen mutmaßlichen Opfers von Combs erfahren. Diese Frau will gesehen haben, wie Combs und ein anderer Mann Aubrey O'Day sexuell missbraucht hätten. O'Day gibt an, sich hieran nicht erinnern zu können.
Die namentlich nicht genannte Frau habe auf der Suche nach einer Toilette Türen geöffnet und hinter einer Tür Combs und einen anderen Mann bei sexuellen Handlungen mit O'Day vorgefunden. O'Day "lag auf einer Ledercouch ausgestreckt und wirkte sehr betrunken". Die Frau schrieb in der eidesstattlichen Erklärung, dass sie "zu 100 Prozent sicher" sei, dass es sich bei der Person um O'Day handelte.
"Bedeutet das, dass ich vergewaltigt wurde?", sagt O'Day in der Doku-Serie. "Ich weiß nicht einmal, ob ich vergewaltigt wurde, und ich will es auch nicht wissen."
Zwei Geschworene sprechen über ihre Zweifel
Auch wenn er zu 50 Monaten Haft wegen Nötigung zum Zweck der Prostitution verurteilt wurde, wurden schwerwiegendere Vorwürfe der organisierten Kriminalität und des Menschenhandels im Strafprozess gegen Sean "Diddy" Combs von der Jury fallengelassen.
In der Doku sprechen erstmals zwei Jury-Mitglieder über ihre Sicht auf den Prozess. Beide räumen ein, dass "Diddy" gegenüber seiner Ex-Freundin Casandra "Cassie" Ventura äußerst gewalttätig gewesen sei. Ein Jury-Mitglied, nur als Geschworene Nr. 160 identifiziert, sagt, die Überwachungsaufnahmen des InterContinental Hotels aus dem Jahr 2016, die Combs bei einem Angriff auf Ventura zeigten, seien "unverzeihlich". Doch im gleichen Atemzug gibt die Geschworene zu bedenken, dass Combs nicht wegen häuslicher Gewalt angeklagt worden sei.
Ein weiteres Jury-Mitglied, Geschworener Nr. 75, sagte, er könne nicht verstehen, warum Ventura immer wieder zu Combs zurückgekehrt sei. Der Mann glaube, das Paar sei verliebt, aber in einer toxischen Beziehung gefangen gewesen.
Die schwerwiegenden Vorwürfe von Joi Dickerson-Neal
In der Dokumentation kommt auch eine Frau namens Joi Dickerson-Neal zu Wort, die Combs in New York verklagt hat. Sie schildert, wie Combs sie im Jahr 1991 angeblich unter Drogen gesetzt und sexuell missbraucht hat. Sie legt einen Brief aus dieser Zeit vor, den ihre Mutter an Combs' Mutter Janice Combs geschrieben hat.
"Ich schreibe Ihnen, um Sie über etwas zu informieren, das Ihr Sohn meiner Tochter angetan hat, was ihre Lebensqualität erheblich beeinträchtigt und unser gesamtes Familienleben zerstört hat", heißt es in dem Brief, der auf den 26. November 1992 datiert ist. "Ich weiß, dass es Ihnen vielleicht schwerfällt, das zu glauben, aber hätte ich diese Geschichte nicht aus dem Mund meiner Tochter selbst gehört und ihr dabei in die Augen gesehen, hätte ich kaum geglaubt, dass jemand die Würde eines anderen Menschen auf diese Weise verletzen könnte. Sie sagte, dass er ohne ihr Wissen meine Tochter beim Geschlechtsverkehr mit ihm gefilmt habe", schrieb ihre Mutter.
Weiter hieß es, dass Dickerson-Neal vermutet, Combs habe die Aufnahme "mindestens 60 oder mehr" Personen gezeigt. "Anscheinend zeigt Ihr Sohn diese Bänder all seinen Freunden auf Partys auf Großbildfernsehern", schrieb sie. "Soweit ich weiß, hat er dies auch mit mehreren anderen Mädchen gemacht."
Hat Sean Combs seine eigene Mutter geschlagen?
Daneben enthüllt die Netflix-Doku auch, dass Sean Combs seine eigene Mutter Janice geschlagen haben soll. Angeblich, nachdem bei einer Benefizveranstaltung im Dezember 1991 in New York neun Menschen gestorben waren, weil sie im Gedränge während einer Massenpanik erdrückt wurden. Sean Combs war Promoter der völlig überfüllten Veranstaltung, bei der fast doppelt so viele Menschen erschienen, als in eine Turnhalle am City College of New York passten.
Kurze Zeit nach dieser Tragödie habe sich Combs deprimiert in einem Hotelzimmer verkrochen. Seine Mutter habe ihn laut Bad-Boy-Mitgründer Burrowes gefragt, ob er sich sicher sei, dass er in der Musikbranche weitermachen wolle und ob das die richtige Entscheidung für ihn sei. "Ich sah, wie er sie anfasste, sie Schlampe nannte und ihr eine Ohrfeige gab", behauptet Burrowes.