Was macht eigentlich... ...Indira Marriyyappan?

Das Foto der von Schmerz überwältigten Frau ging wenige Tage nach dem verheerenden Tsunami um die Welt. Später wurde es das "World Press Photo" des Jahres.

Guten Tag, Frau Indira.

Was wollen Sie denn hier? Sie sind doch Reporter und waren kurz nach dem Tsunami schon einmal bei mir, oder?

Das stimmt.

Mir wäre es lieber, Sie verschwinden möglichst bald. Jedes Mal, wenn hier ein Journalist auftaucht, kriege ich Riesenärger. Denn kaum ist der weg, stehen die Nachbarn vor meinem Haus und wollen Geld, weil sie glauben, ich hab was bekommen. Und wenn ich nichts gebe, weil ich nichts habe, reden sie mindestens eine Woche nicht mit mir.

Wir möchten wissen, wie es Ihnen ein Jahr nach der Katastrophe geht.

Was für eine Frage! Wir haben noch weniger als vorher. Die Fischer trauen sich nicht mehr aufs Wasser. Sobald die Wellen etwas höher sind, bleiben sie tagelang zu Hause. Aber noch schlimmer, wir sind keine Gemeinschaft mehr.

Warum nicht?

Vorher waren wir ein normales Fischerdorf. Alle waren arm. Wir haben einander geholfen, das Essen geteilt, wenn einer mal gar nichts hatte. Seit dem Tsunami haben plötzlich manche mehr als andere, weil sie geschickter waren oder Beziehungen hatten, die ihnen bei der Verteilung der Hilfsgelder halfen. Manche Fischer, die nie ein eigenes Schiff besaßen, haben ein neues bekommen. Andere gingen leer aus, obwohl sie viel verloren haben. Jetzt herrscht nur noch Missgunst im Dorf. Und alle glauben, ich sei reich und berühmt.

Ihr Bild ging um die Welt. Es war auf vielen Titelseiten.

Sogar in unserer Lokalzeitung, aber was habe ich davon? Ich kann ja nicht einmal die Schule für meine drei Kinder bezahlen.

Zur Person

Indira Marriyyappan, 31, lebt in Sonakuppam, einem kleinen Fischerdorf nahe Cuddalore in Indien. Sie hat drei Kinder; nach der Geburt des heute zehnjährigen Sohnes verließ ihr Mann die Familie. Als die Monsterflut sie am Morgen des 26. Dezember erfasste, war sie mit ihrer Schwägerin Maheswari auf dem Weg zum Markt. Indira konnte sich auf einen Turm retten; ihre Schwägerin fand sie drei Tage später tot am Strand.

Weltweit sind viele Milliarden gespendet worden. Ist bei Ihnen gar nichts angekommen?

Ich habe, wie alle im Dorf, 4000 Rupien (ca. 80 Euro, d. Red.) von der Regierung bekommen. Die haben natürlich nicht lange gereicht. Vor dem Tsunami hat mir ein Bruder aus Singapur jeden Monat 1500 Rupien geschickt, ohne ihn hätten ich und die Kinder nicht überleben können. Jetzt schickt er keinen Cent mehr. Er hat im Fernsehen und in den Zeitungen gesehen, wie viel Hilfe wir angeblich bekommen. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht stimmt. Doch er glaubt mir nicht.

Und ihr Bruder? Der hat seine Frau verloren, deren Tod Sie auf dem berühmten Bild betrauern?

Er ist zum Alkoholiker geworden. Abends läuft er durch das Dorf, weint und schreit nach ihr. Zum Fischen fährt er nur noch raus, wenn er Geld für Schnaps braucht.

Wurde ihm gar nicht geholfen?

Materiell schon. Wer einen Angehörigen verloren hat, bekam 200 000 Rupien. So viel Geld hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen. Die Hälfte hat er für die Hochzeit seiner ersten Tochter ausgegeben. 50 000 hat die zweite bekommen, den Rest hat er versoffen.

Wir sehen, Sie haben eine neue Hütte.

Ein paar Wochen nach der Katastrophe kamen ganz viele Helfer. Sie kämen im Namen von "World Vision India", sagten sie und bauten innerhalb kürzester Zeit ganz viele dieser Hütten. Sie sind so ungefähr acht Quadratmeter groß, haben ein Betondach und Wände aus diesen Betonfaserplatten. Leider kannten die sich mit dem Klima hier nicht so aus. Die Platten sind ganz eng aneinander geschraubt, es gibt keine Fenster und deshalb auch keine Luftzirkulation. In den Dingern ist es so heiß, dass wir dort nur unsere paar Sachen lagern können. Für uns ist das nichts. Aber es war bestimmt gut gemeint.

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Jan-Philipp Sendker

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