Die Professorin für Erziehungswissenschaften war nach nur vier Jahren Parteimitgliedschaft in der CDU Familienministerin in Kohls Kabinett. 1988 wurde die stetige Kanzler-Kritikerin Bundestagspräsidentin STERN: 62 Jahre, ehemalige Ministerin und ehemalige Bundestagspräsidentin - bereiten Sie sich innerlich auf die Rente vor?
SÜSSMUTH: Um Gottes willen, nein! Es gibt alte und neue Aufgaben: Familien-, Frauen-, Außen- und Kulturpolitik. Ich bessere mein Englisch auf, mache einen Computerkurs und lerne, im Internet zu surfen ...
STERN: ... also trifft man Sie demnächst in Chatrooms?
SÜSSMUTH: Sicher! Ich war schon immer neugierig auf Neues, auf neue Menschen, auch jene, die anders denken als ich. Mich hat etwa Erhard Eppler in den letzten zehn Jahren interessiert: Wie es in ihm gegärt und gebrodelt hat und man merkte, da entwickelt sich was, aber nicht aus kurzweiliger Anpassung, sondern aus Überzeugung. Das interessiert mich auch an Joschka Fischer.
STERN: Der ist jetzt eine so öffentliche Person, wie Sie es jahrelang waren. Ist es auch schön, Hinterbänklerin zu sein?
SÜSSMUTH: Das war eine wichtige Zeit, aber auch ein immenser Druck, wie ein total kontrollierter Schüler, der nie unter der Bank ein Buch lesen kann, wenn er aufpassen soll.
STERN: Keine Wehmut?
SÜSSMUTH: Die ist verflogen, die Stafette gehört zur Demokratie. Nur bei der Reichstagser-öffnung ist sie kurz aufgebrochen. Aber dessen Gestaltung ist ja abgeschlossen, und was hätte mir Schöneres passieren können, als dabei entscheidend mitzugestalten. Mit der Kuppel ist ein weltweites Unikat geschaffen, wir haben die Republik umgebaut.
STERN: Als Abgeordnete ohne Amt - was hat sich geändert?
SÜSSMUTH: Bei Terminen heißt es nicht mehr 'Rein-Raus- Blumenstrauß': Jetzt kann ich bei guten Veranstaltungen länger verweilen. Ich kann auswählen, fühle mich freier. Und ich gewinne meine alte Fröhlichkeit zurück. Zuletzt hatte meine Familie gesagt: Wir möchten dich wieder lachen sehen. Nun sagen sie: Jetzt erkennen wir unsere Rita wieder.
STERN: Verging das Lachen durch Berichte über eine übermäßige Nutzung der Flugbereitschaft?
SÜSSMUTH: Kritik gehört zur Politik. Da gilt es durchzuhalten und zu belegen, was die Wahrheit war. Aber es gab die Angriffe aus dem Hintergrund, auch aus der eigenen Partei, die manchmal sehr verletzend für meine persönliche Integrität waren. Gut, ich habe es der CDU auch nicht leicht gemacht. Es zählen die 99 Male, in denen man die Fraktionsdisziplin beachtet, weniger als das eine Mal, wenn man es nicht tut. Und bei mir war es ja auch mehr als einmal - allerdings bei jeweils wichtigen Entscheidungen aus tief begründeter Überzeugung.
STERN: Wo haben Sie denn trotz Zähneknirschens mit Ihrer Partei gestimmt?
SÜSSMUTH: Bei der Anhebung des Rentenalters für Frauen, mit einer Kürzung der anzuerkennenden Ausbildungsjahre. Ich habe einen Krach riskiert, dann gab es einen Kompromiß: Die Regelung galt nicht sofort, erst ab 2000. Es bleibt eine problematische Entscheidung, bei der ich ein ungutes Gefühl habe.
STERN: Haben Sie das auch, wenn Sie an die Christo-Abstimmung denken?
SÜSSMUTH: Zwei Drittel meiner Fraktion haben gegen meinen Vorschlag gestimmt. Hinterher, als die Verhüllung des Reichstags weltweit Zustim-mung gefunden hatte, sind viele gekommen und haben gesagt: Du hattest recht.
STERN: In Berlin werden Sie um die Ecke von Reichstag und Mahnmal wohnen.
SÜSSMUTH: In einem Plattenbau im Ostteil, ganz bewußt. Meine Tochter hat es früher weniger interessiert, wie ich wohne, aber bei Berlin hat sie sofort gesagt: Nimm bloß keine zu kleine Wohnung - denk an Besuch!