Mode Affen-Theater

Designer wissen: Der Erfolg auf dem Laufsteg hängt nicht nur von neuen Entwürfen, sondern auch von unverbrauchten Gesichtern ab. Der stern erweiterte den Kreis der Models. Wir stellen vor: Bally, Sandra, Boma, Sita, Massa und Manni, wohnhaft im Krefelder Zoo. In ihrem gewohnten Ambiente durften sie Designermode nach Herzenslust anprobieren und strapazieren

Es ist kurz vor zehn am Vormittag, durch den tropischen Pflanzenwald, der bis unter die Glaskuppel des Affenhauses reicht, flattern exotische Vögel. Die Temperatur liegt bei feuchtwarmen 30 Grad. Noch ist wenig los. Die Flachland-Gorillas vertilgen schmatzend ihr Frühstück, Porree, Paprika und Birnen. Ihr Oberhaupt Massa wurde vor 33 Jahren in der Wildnis Afrikas geboren, drei Jahre später kam er in den Krefelder Zoo. Sein Harem zählt vier Frauen: Boma, 31, und Tumba, 31, sind Wildfänge wie er. Die beiden anderen, Oya, 16, und Muna, 14, kamen genau wie Bomas Sohn Jambo, 9, und Tumbas Tochter Kira, 8, im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms in Zoos zur Welt.

Boma, groß und dunkel, mit glänzendem Fell, ist Pascha Massas Favoritin. Der Chef thront bewegungslos vor dem anschwellenden Besucherstrom. Sein muskulöser, silbrig glänzender Rücken hat die Ausmaße einer Schrankwand. Als ein pinkfarbenes Bikini-Oberteil an ihm vorbeifliegt, fängt er es mit einer kurzen, präzisen Bewegung des rechten Arms. Sein Kopf hat sich keinen Zentimeter bewegt. Mit spitzen Fingern faltet er den gepolsterten BH ganz vorsichtig auseinander. Seine Familie hat sich neugierig um ihn versammelt. Massa setzt sich den Bikini auf den Kopf, das Vorderteil rutscht in den Nacken, die Schnüre werden vor der Brust wie ein Expander bis zum Anschlag gedehnt. Ein flirtender Blick zum Publikum. Ein älterer Herr, offensichtlich ein regelmäßiger Gast, traut seinen Augen nicht. "Ich wusste gar nicht, dass Massa unter die Fetischisten gegangen ist!" Dass der Menschenaffe überhaupt in den Genuss von Designer-Dessous kam, hat er Heidi und Hans-Jürgen Koch zu verdanken. Für das Magazin "Geo" produzierten die beiden Fotografen 1999 eine Strecke über Tierbeschäftigungsprogramme. Die Arbeit daran führte sie auch in den Krefelder Zoo, dessen artgerechte Haltung der dort lebenden Menschenaffen - Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen - seit den Siebzigern als wegweisend gilt. Die Tiere dort sind daran gewöhnt, regelmäßig Jutesäcke, Papierbahnen, Pappkartons oder Plastikkübel zur Beschäftigung ins Gehege zu bekommen. Die Kreativität, die sie im Umgang mit den Materialien an den Tag legen, sei "faszinierend", sagt Heidi Koch. "Ein Affe, der sich in eine Papierbahn hüllt, das war schon ein an Christo erinnerndes Kunstwerk."

Da habe sich der Gedanke aufgedrängt

, was eigentlich passiert, wenn man den Affen richtige Kleidung gibt. Der Zufall wollte es, dass vor einem Jahr Wolfgang Dreßen, 47, die Leitung des Zoos übernahm - ein alter Studienfreund Hans-Jürgen Kochs. Die beiden büffelten gemeinsam Verhaltensforschung an der Uni Bielefeld. Die Kochs schlugen Dreßen vor, den Tieren Stücke aus den aktuellen Kollektionen bekannter Designer ins Gehege zu geben und deren Reaktionen mit der Kamera einzufangen. Ihnen war klar, dass es unter Umständen Tage dauern könnte, bis sie die gewünschten Motive im Kasten haben, denn das Verhalten der jeweiligen Affenart ist stark abhängig von der Stimmung der Gruppe. "Meine spontane Reaktion war positiv", erinnert sich Zoodirektor Dreßen, "Primaten sind hochintelligente Wesen, in denen wir Menschen stets etwas Fremdes, gleichzeitig aber auch sehr viel Vertrautes erkennen. Zu beobachten, wie sie mit Kleidungsstücken umgehen, fand ich spannend."

Als ein kariertes Hemd

aus der aktuellen Kollektion von Etro ins Gehege fliegt, hat Boma, die Lieblingsfrau von Gorilla-Boss Massa, ihren großen Auftritt. "Das muss ich haben!", scheint sie zu denken und hüpft damit triumphierend über die Baumstämme, schwingt es wie ein Lasso über den Kopf. Danach schlingt sie das Hemd wie eine Stola um die Schultern, prüft gewissenhaft die Qualität der Nähte, trennt diese akribisch auf und reicht das Werk dann stolz an Massa weiter. Der schwingt es lässig wie ein Badetuch über die linke Schulter. Die anderen Gorilla-damen, die die Szene aufmerksam beobachten, haben keine Chance, an das interessante Stück Stoff zu gelangen.

Auch als Boma sich eine gelbgrüne Handtasche von Henry Béguelin angelt, dürfen sie das begehrenswerte Objekt nur aus der Ferne bestaunen. Boma klappt die Tasche auf, fasst hinein und hält sie Sohn Jambo hin, der seine Mutter enttäuscht ansieht, als wollte er sagen: leer! Nachdenklich setzt sie sich hin, den Henkel elegant am gespreizten Finger ihrer Hand. "Das kannste besser als Claudia Schiffer", ruft ihr eine Frau zu. Massa, der Boma die Tasche wieder abgenommen hat, hält sie unter den Strahl am Wasserbecken und schrubbt damit anschließend den Rand. Direktor Dreßen beobachtet die Szene interessiert. "

Im Umgang mit den Kleidungsstücken spiegelt sich ganz klar die soziale Struktur der Gorillagruppe wider", bemerkt er. "Die Erfahrung des Silberrückens garantiert das Überleben der Gruppe", sagt er. "Massa hat immer Priorität und damit das Recht, als Erster zu schauen." Wenn er nicht interessiert ist, kommt Alpha-Weibchen Boma an die Reihe, und wenn Tochter Kira sich mal vordrängelt, lässt er das wohlwollend durchgehen. Das System der Schimpansen, sechs Weibchen und fünf Männchen, ist wesentlich weniger stabil als das der Gorillas. Die Machtverhältnisse ändern sich häufig, Intrigen sind an der Tagesordnung. Deshalb die Extrovertiertheit, die hektischen Bewegungen, die schrillen Töne: "Schimpansen machen alles zehnmal so laut wie nötig", sagt Pfleger Werner Golinowska, 42, "schließlich soll es jeder mitbekommen." Auch hier ist der Nachwuchs, wie bei allen Affenarten, grundsätzlich experimentierfreudiger. Ein mintfarbener Rock mit Tunnelzug landet auf dem Boden. Junior Manni, 7, als Erster vor Ort, erschrickt, weicht einen Schritt zurück, tippt vorsichtig mit der Fingerspitze hinein: Alles klar, das Teil ist tot! Dann zieht er den Rock bis zur Taille: Zu weit, er rutscht über die schmale Hüfte. Dafür lässt sich das Ding mit Hilfe einer Astgabel vortrefflich in eine Schaukel verwandeln. Wenn nur Mutter Menolly, 20, ihn nicht schon wieder am Wickel hätte. Sie konfisziert den Rock, kontrolliert das Etikett - Y-3 scheint die richtige Marke zu sein -, gibt ihn dann zurück. Ein großer gemusterter Schal von René Lezard löst bei der gesamten Mannschaft Begeisterung aus. Alle wollen ihn haben, aber Gombe, 31, gewinnt das Tauziehen. Sie versammelt die meisten Kinder hinter sich, hat einen dominanten Charakter und offensichtlich einen Sinn für kostbare Stoffe: Nach dem mühsam errungenen Sieg stärkt sie sich mit einem Schluck Wasser, achtet aber darauf, dass die Trophäe nicht nass wird. Später nimmt Gombe Manni noch den Rock ab und bastelt daraus eine Halskrause.

Dafür klaut der ihr den Schal, fegt damit als Gespenst verkleidet an den anderen vorbei und kuschelt sich wie in einen Schlafsack hinein. Zoodirektor Dreßen: "Das ist typisch für Schimpansen. Sie sind schnell in der Herangehensweise, verlieren aber genauso schnell wieder das Interesse." Gorillas und Schimpansen halten sich vorwiegend am Boden auf, sie leben in Gemeinschaften. Orang-Utans sind Baumbewohner und Einzelgänger. Sie werden als die "Philosophen" unter den Affen bezeichnet, lassen sich Zeit und sind deshalb auch bedächtiger und vorsichtiger im Umgang mit der Kleidung. Im Krefelder Zoo leben das Männchen Telok, 43, und die Weibchen Sandra, 24, Sita, 23, und Lea, 11. Lea hat in der vergangenen Nacht ein Junges geboren und ist deshalb nicht im Außengehege. Sita ergreift die erste Offerte, einen Rock mit Raubkatzenmuster, drapiert ihn in aller Seelenruhe um den Kopf. Ab und zu zupft sie den Schleier vor und zurück, als untersuchte sie die veränderte Perspektive. Dann komplettiert sie das Ensemble mit einem Strohhut, den sie tief über die Augen zieht. Telok schenkt ihr keinen Blick. "Generell ist denen ziemlich egal, was die anderen machen", erklärt Tierpfleger Reymer. Doch als Sita sich ein goldenes Netzkleid von Sand über den Kopf zieht, wacht Telok richtig auf. Gespannt verfolgt er , wie sie ihren linken Arm in den Ärmel schiebt und das braune Fell durch die Maschen schimmert. Wenig später haben sich die beiden mit einem Stapel Kleider in eine Ecke verzogen. Selbstvergessen sind sie bei der Anprobe. Die Stoffe werden als Unterlage genutzt, als Zelt oder als Umhang. Insgesamt ist eine Vorliebe für leichte, großformatige Gewänder zu erkennen - oft wird das Futter aufgetrennt und damit die Fläche vergrößert. Dafür gibt es eine Erklärung: "Telok und Sita verstecken sich wahnsinnig gern. Sie lieben es, sich zuzudecken, besonders in den Ruhephasen nach der Fütterung", sagt Dreßen. Dass ein "bekleideter" Affe bei seinen Artgenossen eine Wirkung erzielt, ist nicht zu übersehen. Ob Mode ihn jedoch über das spielerische Moment hinaus beschäftigt, bleibt fraglich. "Affen haben einen Farbsinn", das steht für Dreßen fest, "aber ein ästhetisches Empfinden würde ich verneinen." Der Umgang mit Kleidung sei vermutlich selbstbezogen und "keine Betonung von Merkmalen als Auslöser für eine bestimmte Reaktion der anderen". Hundertprozentig festlegen möchte er sich allerdings nicht. Nach dieser Fotoproduktion noch weniger als zuvor.

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