Als ich die erste gedruckte Version von NICHTLUSTIG in den Händen hielt, war ich 16 Jahre alt. Als ich 2003 in der großen Pause durch das Buch blätterte, war Joscha bereits seit drei Jahren Autor und Zeichner von lebensmüden Lemmingen, geistig umnachteten Yetis und dem Tod persönlich. 15 Jahre später sitzen er und Co-Autor Haiko in meinem Wohnzimmer und essen Käsekuchen.
Doch nicht nur wir, auch die Cartoons haben sich in dieser Zeit weiterentwickelt und sollen nun auch als Trickfilmserie produziert werden. Um die kostenintensive Produktion stemmen zu können, läuft noch bis zum 7. Januar eine Spendensammlung via Crowdfunding. Wie es dazu kam, wie die Comics entstehen, was ihnen als Inspiration dient, was es mit Graphic Novels auf sich hat und wieso sie selber keine aktuellen Themen aufgreifen, lest ihr im Interview.

NEON: Viele kennen Joscha, aber dich noch nicht, Haiko. Du bist jetzt Texter bei NICHTLUSTIG?
Haiko: Ja, das stimmt! Ich bin Autor und Drehbuchautor bei NICHTLUSTIG und mache nebenbei noch andere Sachen. Vorher war ich Texter in der Werbung und dann kam Joscha auf einem weißen Pferd daher geritten und hat mich davon gestohlen!
Joscha: Mit wehendem Haar am Strand!
Haiko: Ganz genau! Und jetzt bin ich seit zwei Jahren bei Joscha.
Joscha: Wir haben uns tatsächlich auf einer Party kennengelernt. Abgestürzt.
Romantisch!
Joscha: Nein, also ich war vor zwei Jahren an so einem Punkt, nach dem ersten großen Crowdfunding, wo ich nicht mehr alles alleine machen wollte. Damals prasselten von allen Seiten so viele Forderungen auf mich ein, dass ich erstmal ein bisschen zusammengeklappt bin. Zu dem Zeitpunkt brachte mir der Job einfach keinen Spaß mehr… Und dann habe ich die Entscheidung gefällt, dass ich mir Personen dazuhole. Und das war eine der besten Entscheidungen überhaupt. Das Hauptproblem am Anfang war für mich, das ganze loszulassen und die Regeln, die ich für mich ganz fest in meinem Kopf hatte, von jemand Anderem aufbrechen zu lassen. Haiko hatte ganz andere Vorstellungen als ich.
Haiko: Ich glaube, das ist völlig normal. Wenn du 15 Jahre alleine an etwas gearbeitet hast, gibst du ungern die Zügel aus der Hand. Als ich zu Joscha kam und mir die ersten Cartoons ausgedacht habe, sagte er direkt: Nee! Hexen-Gags gibt es gar nicht! Hexen gibt es bei mir nicht! Und ich so: »Was? Warum?« Aber in der NICHTLUSTIG-Welt gibt es einfach keine Hexen. Vampire, Yetis… Alles ok. Aber Hexen gehen einfach nicht.
Schwarze Magie! Was mir dabei einfällt: Kommt eigentlich erst der Gag und dann die Zeichnung dazu oder fängst du an zu zeichnen und dann entstehen die lustigen Ideen?
Joscha: Eigentlich immer erst der Gag. Aber in der Produktion des Cartoons ändert sich häufig nochmal der Dialog… Wenn man die Figuren dann genau vor Augen hat.

Ihr greift ja keine politischen, aktuellen Themen auf, oder? Hat das einen Grund?
Joscha: Fand ich immer schwierig. Ich habe das Gefühl, dass man in dieser simplifizierten Form, mit der Cartoons oder auch Karikaturen funktionieren, der Komplexität einer Sache nicht gerecht wird. Ich finde viele Karikaturen einfach doof, plump und verallgemeinernd. Und genau das macht es so gefährlich. Meistens sind diese politischen Karikaturen aus einer Richtung gezeichnet, der ich sehr nahe stehe – ich verstehe also, was die Kritik ist und trotzdem wird es viel zu häufig der Thematik nicht gerecht. Die Sache ist meist komplexer und deswegen fand ich es nie interessant, meine eigene und persönliche Meinung in Form eines Cartoons kundzutun. Keine Frage: Es ist wichtig, Denkanstöße zu geben! Aber es wird nie passieren, dass ich meine Meinung mit einem Cartoon offen zeige.
Haiko: Bei mir ist das ähnlich. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir ja auch nichts über Promis machen oder irgendwas, was die Comics in einer gewissen Zeit verankern würde. Das war Joscha schon immer wichtig, dass die Sachen immer zeitlos bleiben und dass du heute in ein Buch von vor zehn Jahren reinblättern kannst und nicht das Gefühl hast, an irgendeine damalige Zeit erinnert zu werden. Vielleicht versteht man es später auch gar nicht mehr. Aber ich finde politische Comedy insgesamt extrem schwierig. Ich habe auch das Gefühl, dass es in Deutschland nichts Gutes gibt.
Findet ihr, dass Satire alles darf?
Haiko: Satire darf alles, Satire muss nicht alles. Ich finde, es liegt im Ermessen des Künstlers, worüber er sich lustig machen will. Und natürlich sollst du dich über alles lustig machen können in einer freien Gesellschaft – das ist die Idee! Und wenn wir das nicht haben, ist das blöd. Aber du musst nicht! Man kann Comics über den Islam machen… muss man aber nicht. Man muss sich nicht krampfhaft über alles lustig machen, aber ich finde natürlich, dass es super wichtig ist, dass man das darf.
Joscha: Ich finde es ohnehin einen merkwürdigen Begriff »darf«. Rein gesetzlich dürfen wir das, ja. Ich werde nicht verhaftet, wenn ich das mache. Das ist meine Definition von »ich darf das«. Und das ist erstmal ganz toll in einer Gesellschaft zu leben, in der ich das darf und in der Satire das tatsächlich darf, ohne eingesperrt oder ausgepeitscht zu werden. Großartig! Alles andere ist persönlicher Quark. Dann denkst DU, das darf man nicht oder du findest es eben nicht gut. Das hat nichts damit zu tun, ob man das darf oder nicht.

Wann hast du angefangen zu zeichnen, Joscha?
Joscha: Das ist immer so eine klassische und auch eine interessante Frage, weil man immer davon ausgeht, dass jemand, der das heute macht, irgendwann damit angefangen hat. Aber die Frage ist eigentlich: Wann habt ihr alle aufgehört zu zeichnen?
Ich kann es ganz genau sagen: Als meine beste Freundin in der Grundschule zu meiner Zeichnung sagte »Das sieht doof aus« und meine Oma es bestätigte.
Joscha: Und ich hatte nie so eine Oma! Und schlecht fängt jeder an! Ich habe bis heute keinen unglaublich guten Stil. Ich kann das, was ich mit NICHTLUSTIG mache, aber ansonsten bin ich nicht unglaublich zeichnerisch begabt. Auch wenn das auf die Leute von außen häufig erst mal so wirkt. Aber darum geht es ja auch nicht! Zumindest nicht in dem Bereich, in dem ich arbeite. Inhaltlich geht es mir eher darum, wie ich originell sein kann und mit meinen Zeichnungen Menschen zum Lachen bringe.
Haiko: Wenn ich mit meinem fünfjährigen Neffen zeichne, ist das so nah an dem Quatsch dran, den wir auch im Kopf haben. Irrsinn ohne Regeln. Hunde können größer sein als die Welt und sie können lila sein und dann malt er einfach einen riesigen lilafarbenen Weltraumhund. Und das ist auch nichts Besonderes für ihn. Es ist schade, dass viele Menschen dieses Herumspinnen verlernen. Das ist etwas, das sich Leute, die sich in unserer Branche tummeln, irgendwie erhalten konnten. Und es in eine Form bringen konnten, die für Außenstehende nicht nur nach Irrsinn aussieht.
Trotzdem ist es ja anfangs recht unwahrscheinlich und eine fixe Idee, dass man mit genau diesem Irrsinn irgendwann genug Geld verdienen kann. Normalerweise kommt irgendwann die Realität, die dir deine Kunst um die Ohren haut und brüllt »Das geht nicht! Mach was Anständiges!« Wie habt ihr es geschafft, einfach nicht von der Realität geschlagen zu werden?
Joscha: Das ist so schade! Und ich weiß nicht, ob es passiert wäre, wenn nicht mein Vater und meine Mutter so unterstützend gewesen wären. Mein Vater ist selber so eine Art verhinderter Künstler, der auch immer von Außen vermittelt bekommen hat, er müsse etwas anderes, etwas Sichereres tun. Deswegen hat er mir sehr, sehr früh das Gefühl gegeben, dass mein Können etwas wert ist. Auch über diese Kindergartenkritzeleien hinaus! Meine Eltern haben alle Zeichnungen, die ich jemals gemacht habe, aufgehoben. Und diese Wertschätzung hat schon viel damit zu tun, dass ich dabei geblieben bin. Natürlich kam bei mir auch irgendwann das Verständnis, dass die meisten Zeichner und Comicautoren das als Hobby machen und nicht als Beruf. Deswegen bin ich anfangs auch eher von dieser Idee abgerückt. Gleichzeitig kam das Interesse an Film bei mir auf und ich dachte, ich könnte da Regie führen und mitproduzieren. Klingt genauso utopisch – wirkte aber auf mich greifbarer.
Haiko: Mein Vater hatte damals einen Comicladen und deswegen bin ich einfach mit dem Zeug aufgewachsen. Das war für mich total normal, dass das existiert und ich so viel konsumieren kann, wie ich will. Ich hab natürlich auch gezeichnet…
Joscha: Aber war Comiczeichner ein richtiger Beruf in deinen Augen?
Haiko: Alle Comiczeichner, die ich kennengelernt habe, weil sie in den Laden meines Vaters zum Signieren kamen, hatten es ja geschafft. Und ich dachte: Dann muss es ja gehen! Meine Eltern haben mich auch immer unterstützt, bis ich irgendwann merkte »Puh, zeichnen ist schwer… und ich bin faul…« und dann realisierte ich später, dass ich mir ja auch nur Comics ausdenken könnte und jemand anderes zeichnet sie für mich. Das würde ja viel schneller gehen! Und das habe ich dann gemacht.

Wenn dein Papa einen Comicladen hatte: Was war denn dein Lieblingscomic?
Haiko: Ich hab’ Superheldencomics geliebt. Also wirklich die ganz alten Spiderman, Batman, Superman… Das ganze Silver Age Zeugs aus den 60ern und 70ern. Das lag halt immer bei uns zu Hause rum!
Joscha: Krass, da bist du so ganz anders als ich! Bei Superhelden bin ich komplett ausgestiegen.
Haiko: Superhelden waren super wichtig für mich! Immer noch!
Hast du dich auch daran orientiert?
Haiko: Ja, Comics waren für mich Superhelden-Comics. Ich wusste zwar, dass es auch sowas wie diese ganzen Disneysachen gibt. Die habe ich ja auch gelesen, aber die haben mich nicht so interessiert.
Joscha: Bei mir war es ganz klassisch Micky Mouse und die ganzen lustigen Sachen. Asterix und klassisch das, was Leute in Deutschland meistens auch mit dem Begriff Comic verbinden. Erschreckenderweise heute auch noch! Später wurden es dann Calvin and Hobbes, die Peanuts. Dann habe ich Trondheim für mich entdeckt. Ein französischer Zeichner, der auch einen sehr einfachen, aber lustigen Zeichenstil hat und trotzdem erwachsene Geschichten erzählt. Diese Kombination hat mich immer gereizt. Superhelden waren für mich immer so eine merkwürdige Männerfantasie: Er muss stärker als Alle sein und über dem Gesetz stehen, Selbstjustiz, waaaah!
Haiko: Superheldencomics waren auch, insbesondere die ganz alten, abgedrehte Science-Fiction-Storys. Vor allem die alten Superman Sachen aus den 60ern und 70ern sind kompletter Wahnsinn! Superman sammelt Planeten mit einem riesigen Netz ein… Das ist genau dieser kindliche Wahnsinn, den ich immer noch cool finde!
Ich finde es gerade so spannend, dass Comics mittlerweile als Graphic Novels gut verkauft werden und es auch in akademischen Kreisen gefeiert wird. Das sind dann dicke, anspruchsvolle Wälzer. Gleichzeitig geht dieser alten Comickultur etwas verloren. Auf den Kindersendern sehe ich meistens nur noch diese überanimierten Mangafiguren.
Joscha: Der Begriff »Comic« gilt ja für ganz viele Leute als Überbegriff. Unter anderem auch für Trickfilm, was eigentlich nicht stimmt. Es ist eigentlich eine komplett andere Sparte. Graphic Novels ist einfach nur ein neuer Begriff, den sich die Verlage ausgedacht haben…
Damit es nicht mehr so kindlich klingt?
Joscha: Ja, genau. Damit die Leute denken »Oh, das ist was für mich! Das ist Literatur«. Die bekommen dann Hardcover und Gewicht und allein dadurch wirken sie gleich viel mehr wie ein Buch. Und es wirkt anspruchsvoll. Natürlich gab es das alles vorher schon. Es gab immer anspruchsvolle Comics für Erwachsene. Die hießen eben nur dooferweise auch Comic. Und phonetisch ist dieser Begriff so nah an »Komik« dran, dass es für Leute schwierig ist abzutrennen. Comic ist ja nur eine Form – kein Inhalt. Es ist einfach nur die Art zu erzählen. Anfangs stand ich mit dem Begriff Graphic Novels auf Kriegsfuß, weil wir ja einen Begriff dafür haben. Mittlerweile verstehe ich aber, warum. Es war wohl einfach nötig, um Leuten wieder einen Zugang zu geben.
Haiko: Ich finde den Begriff nicht gut. Dieser Marketingbegriff »Graphic Novel« hatte einen Zweck: es hat den Comic wieder belebt. Problem ist, dass er gleichzeitig dem Comic auch geschadet hat. Leute, die man jetzt mit der Graphic Novel erreicht hat, würden nie einen Comic kaufen. Das sind keine Leute die sagen »Ah, jetzt hab ich ein, zwei Graphic Novels gelesen, jetzt gucke ich mal in diesen Comic.« Die bleiben dann bei Graphic Novels und allem, was unter diesem Titel läuft. Viele andere Sachen, die unglaublich gut sind, werden diese Leute niemals erreichen, weil sie mit dem Comic-Begriff nur noch Kindersachen verbinden. Es hat den Markt kurzfristig belebt, aber langfristig trotzdem geschadet.
Joscha: Ich glaube, es wurde einfach eine neue Sparte aufgemacht. Die hätten sonst vielleicht gar keine Comics gelesen.
Haiko: Aber sonst hätte man sagen können: Ey, Leute! Comics sind nicht nur für Kinder!
Joscha: Das haben wir Jahrzehnte gemacht! Und es hat trotzdem nicht funktioniert!
Haiko: Ja… Vielleicht brauchen Menschen diese Labels, um sich irgendwie beruhigen zu können.
Joscha: Vielleicht braucht es noch eine Generation, bis man sich noch weiter annähern kann. Comics stehen seit jeher zwischen den Medien Literatur und Film. Ein visuelles Medium, das literarische Elemente in Form von Sprechblasen hat. Oft entscheidet man sich entweder für das eine oder das andere und nicht das, was daneben liegt.
Vielen Dank! Und viel Glück weiterhin mit der Trickfilmserie und eurem Crowdfunding!
Wer die Beiden unterstützen will, kann dies auf Kickstarter tun.