Freizeit And the Oscar goes to…

  • von Fiona Weber-Steinhaus
Freizeit: And the Oscar goes to…

Am Sonntag werden die Oscars in Los Angeles verliehen. Die NEON-Redaktion hat alle Filme gesehen und gibt ihren Senf dazu ab – und erklärt, für was der Film wirklich einen Oscar gewinnen sollte.

»American Hustle«

Freizeit: © Tobis
© Tobis

Oscar für: das authentischste The Show must go on!- Gefühl

Worum geht’s? Ein Cop (Bradley Cooper) heuert zwei Trickbetrüger (Christian Bale, Amy Adams) an, um mithilfe eines fiktiven Scheichs korrupte Politiker zu überführen. Die Mafia mischt sich ein, und alles gerät außer Kontrolle.

Worum geht’s wirklich? Betrug und Selbstbetrug. Hinter falschen Namen und coolen Sprüchen stecken einsame Figuren, die verzweifelt versuchen, jemand anders zu sein, und sich dabei furchtbar überschätzen.

Beste Szene: Ein fetter Christian Bale steht minutenlang hochkonzentriert vor dem Spiegel und drapiert ein Toupet auf seiner Halbglatze. Die Maske sitzt, die Show kann beginnen!

Mit: Amy Adams, Jennifer Lawrence, Jeremy Renner, Robert De Niro.

Regie: David O. Russell

»Dallas Buyers Club«

Freizeit: © Ascot Elite Filmverleih
© Ascot Elite Filmverleih

Oscar für: die beste Radikaldiät

Worum geht’s? Der texanische Cowboy Ron (Matthew McConaughey) liebt Rodeos, Drogen und Sex. Er hasst Schwule. Dann erfährt Ron, dass er Aids hat und nur noch dreißig Tage zu leben. Er entwickelt eine Geschäftsidee, wie er HIV-Positive mit Medikamenten versorgen kann.

Worum geht’s wirklich? Das gute Leben. Wir müssen das Beste aus der Zeit machen, die uns bleibt. Mehr gibt es nicht zu sagen. Außer: Vorurteile und Hass halten bei diesem Vorhaben eher auf.

Beste Szene: Rons schwuler Geschäftspartner Rayon löst seine Lebensversicherung für den Medikamentenclub auf. Ron umarmt ihn. Klingt simpel, ist für einen Texaner in den Achtzigerjahren aber ein großer Schritt.

Mit: Matthew McConaughey, Jared Leto, Jennifer Garner.

Regie: Jean-Marc Vallée

»Philomena«

Freizeit: © Universumfilm
© Universumfilm

Oscar für: den besten irischen Akzent

Worum geht’s? Die junge Philomena bekommt im Magdalenenheim, der irischen Institution für sogenannte gefallene Frauen, ein uneheliches Kind. Die Nonnen verkaufen Anthony in die USA – und Philomena macht sich 50 Jahre später mit einem zynischen Journalisten auf die Suche nach ihrem verlorenen Sohn.

Worum geht’s wirklich? Um das Versagen des irischen Staates, um Liebe und Vergebung – und den Beweis, dass auch eine Tragödie witzig sein darf.

Beste Szene: Als Philomena ihren Sohn auf dem Diaprojektor erlebt: Die Szene ist schön, weil er so glücklich war und gleichzeitig unendlich traurig, weil Philomena als Mutter all das verpasst hat.

Mit: Judi Dench und Steven Coogan

Regie: Stephen Frears

»The Wolf of Wall Street«

Freizeit: © UPI
© UPI

Oscar für: den besten Drogenrausch

Worum geht’s? Um die korrupten Machenschaften der Wall Street-Broker. Um Macht, Geld, Sex und Drogen, und all das im perversen Überfluss.

Worum geht’s wirklich? Um das irre Gefühl, wie es ist, ohne moralische Instanz zu leben. Und wie leicht es ist, sich davon verführen zu lassen.

Beste Szene: Als Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) voll auf Drogen vom Golfclub zurück fährt, und sich sehr souverän und langsam vorkommt. Am nächsten Tag klingelt die Polizei – in seiner Garage steht ein komplett verbeultes Auto.

Mit: Leonardo Di Caprio, Jonah Hill

Regie: Martin Scorsese

»12 Years a Slave«

Freizeit: © Tobis
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Oscar für: Lupita Nyong’o – ja, wir wissen: sie ist schon als beste Nebendarstellerin nominiert, aber doppelt hält besser.

Worum geht’s? USA, 1841: Der Afroamerikaner Solomon (Chiwetel Ejiofor) lebt als freier Mann in Washington. Dann wird er entführt und in die Sklaverei verkauft. Verzweifelt versucht er, seine Identität zu bewahren.

Worum geht’s wirklich? Ein menschenverachtendes System verdirbt alle, die in ihm leben, und erhält sich so selbst. Selbst der brutale Sklaventreiber Epss (Michael Fassbender) wird hier zum Opfer der Umstände.

Beste Szene: Solomon wird mit einem Strick um den Hals an einen Baum gehängt, die Zehenspitzen berühren gerade noch den matschigen Boden. Unendlich lange Minuten sehen wir, wie er röchelnd ums Überleben kämpft. Um ihn herum verrichten die anderen Sklaven weiter ihre Arbeit. Man spürt die Bilder am ganzen Körper.

Mit: Chiwetel Ejiofor, Benedict Cumberbatch, Brad Pitt

Regie: Steve McQueen

»Captain Phillips«

Freizeit: © Columbia Pictures
© Columbia Pictures

Oscar für: das krasseste „Der Abspann läuft, aber ich kann noch nicht aufstehen, weil ich so geflashed bin«-Gefühl 2014

Worum geht’s? Eine Gruppe somalischer Piraten kapern einen US-Frachter am Horn von Afrika. Sie nehmen den Kapitän als Geisel. Navy Seals befreien ihn. Die Geschichte ist wahr, sie geschah im Jahr 2009.

Worum geht’s wirklich? Zwei Männer – der Kapitän und der Anführer der Piraten – haben eigentlich keinen Bock auf ihren Job: Der Pirat muss kapern, weil Warlords ihn dazu zwingen. Der Kapitän muss das Frachtschiff lenken, weil er es sich in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht leisten kann, den gefährlichen Auftrag abzulehnen. Es geht ums also in jeder Hinsicht ums Überleben. Sowohl finanziell als auch physisch.

Beste Szene: Der Oberpirat steht an Deck des Frachtschiffs direkt vor Captain Philipps. Irre aggressiver Blick. Dann der Satz, den man so schnell nicht mehr vergisst: „Look at me. I am the captain now.«

Mit: Tom Hanks, Catherine Keener, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman

Regie: Paul Greengrass

»Gravity«

Freizeit: © Warner Brothers
© Warner Brothers

Oscar für: Beste Mystik

Worum geht’s? Während der Reparaturarbeiten an einem Satelliten im Weltraum wird das Shuttle der Astronauten durch einen Schauer aus intergalaktischem Schrott zerstört. Wie kommen sie jetzt zur Erde zurück?

Worum geht’s wirklich? Um zwei Dinge: Zuerst um Kino im 21. Jahrhundert, und wie man mit Computern und 3D physische Erfahrung erzählen kann.

Die zweite Sache ist weniger technisch: Es geht um die Tatsache, dass wir als Menschen einen blauen Planeten zur Heimat haben, dass die Evolution uns aus dem Wasser auf das Land getragen hat, dass wir aus dem Nichts entstanden sind und bewusst geworden sind, dass das Gehirn sich selbst »Gehirn« getauft hat – dass wir und dass alles ein Wunder sind. Wenn Astronauten im All waren, erleben sie solche Gefühle und Gedanken derart intensiv, dass es dafür sogar einen Namen gibt: »Overview-Effekt«.

Hier zwei wundervolle Zitate dazu, von zwei NASA-Leuten:

»Wenn wir aus dem Weltraum auf die Erde herabschauen, sehen wir diesen erstaunlichen, unbeschreibbar schönen Planeten – der wie ein lebender, atmender Organismus aussieht. Aber gleichzeitig sieht sie sehr verletzlich aus. Jeder, der einmal im Weltraum war, sagt dasselbe, denn es ist sehr auffallend, sehr ernüchternd, dass diese papierdünne Schicht, die Atmosphäre, jedes lebende Wesen auf der Erde vor dem Tode bewahrt, vor der Unwirklichkeit des Weltraums.« Ron Garan

»Ich habe Astronomie und Kosmologie studiert und vollkommen verstanden, dass die Moleküle in meinem Körper, im Körper meiner Kollegen und im Raumschiff ihre Vorläufer in der Entstehung der Sterne hatten. Aus dieser Beschreibung wurde mir deutlich, dass wir Sternenstaub sind. Das war eine sehr mächtige, erhebende Erfahrung.« Edgar Mitchell

Beste Szene: Das Ende, wo man versteht, warum der Film heißt, wie er heißt. Die Erde, unser Planet, zieht uns an.

Mit: George Clooney und Sandra Bullock

Regie: Alfonso Cuarón

Zum Blogpost »Space is the Place«

»Her«

Freizeit: © Warner Brothers
© Warner Brothers

Oscar für: die schönsten Gespräche über die Liebe

Worum geht’s? Ein Mann verliebt sich in das künstlich intelligente, sprechende Betriebssystem, das er neu auf seinen Rechner und sein Handy lädt. Das sprechende Betriebssystem ist so ein bisschen wie Siri. Nur in klug. Und witzig. Und sensibel. Und..tatsächlich..seeehr..sexy. Also kein Wunder! Der arme Mann.

Worum geht’s wirklich? Um die Frage, was eigentlich geschehen wird, sobald Computer in der Lage sind, Gefühle zu simulieren. Oder sind das dann auch echte Gefühle? Wer definiert das? Und vor allem: Dürfen die dann etwa mit einem Schluss machen?

Beste Szene: Jede, in der Samantha spricht. Scarlett Johansson könnte auch einem Loch im Zahn oder einem Mülleimer ihre Stimme leihen. Und der Mülleimer wäre klug. Und witzig. Und sensibel. Und..tatsächlich..seeehr..se…naja.

Mit: Joaquin Phoenix, Rooney Mara, Olivia Wilde und die Stimme von Scarlett Johannson

Regie: Spike Jonze

»Nebraska«

Freizeit: © Paramount Pictures
© Paramount Pictures

Oscar für: den traurigsten Blick ins Leere

Worum geht’s? Ein seniler Vater (Bruce Dern) roadtript mit seinem Sohn (Will Forte) durchs triste Heimatkaff, um einen angeblichen Millionengewinn abzuholen. Das war’s. Mehr passiert nicht.

Worum geht’s wirklich? Die Reise eines Mannes ohne Zukunft durch seine Vergangenheit – auf der Suche nach einem Fitzelchen Würde. Dazwischen ein Haufen skurriler Charaktere und absurder Situationskomik. Am Ende bleibt die leise Hoffnung, dass man im Leben doch noch Spuren hinterlassen hat.

Gut gesagt:
»Hat ihr Vater Alzheimer?«
»Nein, er glaubt einfach nur, was die Leute ihm sagen.«

Mit: Bruce Dern, Will Forte

Regie: Alexander Payne

Zum Blogpost »Irgendwo im Nirgendwo«