Es gibt da diesen einen finalen Moment im Kinosaal, der aufrichtig zeigt, wie gut oder schlecht ein Film funktioniert: Wenn der Abspann läuft und die Lichter angehen. Ich wünsche mir eine Bilderstrecke von all den Menschen, die sich Boyhood angesehen haben – sie freuen sich wie Kinder, denen man die Schnuller zurückgegeben hat.
Da hat dieser Film nun 12 Jahre Produktionszeit verschlungen. 39 Drehtage für 166 Minuten Laufzeit, dazwischen ein ganzes Teenagerleben – und doch dauerte der Abspann nur einen Song lang. Das ist bemerkenswert, wenn man die Credits mit mittelgroßen Hollywood-Produktionen vergleicht, die mit viel Special Effects und Tamtam aufwarten und gut und gerne 12 (Starship Troopers) bis über 20 Minuten (Die Rückkehr des Königs) verschlingen. Aber wer wartet schon bis der Vorhang gefallen ist.
Die Menschen mit dem Schnuller.
2002. Da war ich 20. In Worten: zwanzig. Jetzt bin ich fast 32. Keine Worte.
Zwölf Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Damals wurde der Euro eingeführt, Tele 5 schaffte es zurück ins deutsche Fernsehen und der Zitronenfalter wurde zum Insekt des Jahres gekürt – Yeah. Dazu noch der ganze persönliche Kram, den ein jeder durchlebt hat. Kein Blogpost der Welt reicht aus, um all das niederzuschreiben. Zwölf Jahre, verflixt noch eins.
Zu der Zeit hörte ich von einem Projekt eines gewissen Richard Linklaters – seines Zeichens Autorenfilmer und Lieblingsregisseur eines 20-jährigen Cineasten: »The Untitled 12 Year Project«. Der Film sollte laut spärlichen IMDb-Infos (kein Pro-Kunde) das Leben eines kleinen Jungen bis ins späte Teenager-Alter zeigen. So der Deal damals. Seither verfolge ich dieses ehemalige Projekt-ohne-Namen und erwartete jedes Jahr, dass sich sein Status ändert: »cancelled« Zu Grabe getragen wegen Überambition.
Doch glücklicherweise konnte Linklater sein Projekt durchdrücken, und jetzt haben wir den Salat: eine 12jährige Erwartungshaltung wurde aufgebaut und sie geht nicht wieder weg.
Da sitze ich also fast 3 Stunden im Kinosessel und gucke diesem 6-jährigen Knirps dabei zu wie er den mehr oder weniger klassischen Werdegang eines jungen Menschen durchlebt. Müsste ich seine Stationen aufzählen (Pubertät, Mom und Dad, erste Liebe, etc.), würde ich zu dem Schluss kommen, dass dieser besondere Film so gar nicht besonders ist. Aber allein der unumstößliche Fakt, dass wir es hier mit echten, alternden Menschen aus Fleisch und Blut zu tun haben, und nicht mit Robotern, Elfen, Actionhelden oder Oscarpreisträgern – , macht die Sache vor allem eins: glaubhaft. Wenn der Vater das erste Sex-Gespräch mit seinen Kindern führt, hat man nicht das Gefühl von Schauspiel, sondern von echter peinlicher Berührung. Glaubwürdigkeit ist eine Tugend, die dem Kino abgeht.
Am Ende des Films wird der Junge 18 Jahre alt sein. Ich aber bleibe fast 32 und fühle mich wie ein Elternteil, das sein Kind in die weite Welt verabschiedet. Stock und Hut stehn ihm gut.
Foto: Universal Pictures