Freizeit Das NEON WM-Spezial – Teil 3

Freizeit: Das NEON WM-Spezial – Teil 3
Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Juli 2014 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.

Pünktlich zum dritten und letzten Vorrundenspiel der DFB-Elf gegen die USA liefern wir die wichtigsten Informationen aus dem aktuellen Heft – Minute für Minute: Teil 3 unseres WM-Spezials.

HALBZEIT
Der DFB-Taktikexperte Frank Wormuth weiß, wie man klug das Spielgeschehen analysiert:

Wie verstehe ich endlich das Spiel?
Nicht so viel über Psychologie nachdenken. Alle reden immer über »Leidenschaft«, »man­gelnde Gier« und so weiter. Das erklärt nichts. Jeder auf dem Platz will gewinnen. Noch so ein Unfug ist es, beim Ballverlust zu sagen: »Da fehlt die Konzentration.« Die Jungs sind aber alle topkonzentriert. Man muss ­genau hinsehen. Vielleicht hat der Spieler den Ball verloren, weil er schlecht angespielt wurde.
Was ist ein gutes Anspiel?
Ein guter Pass wird in den Fuß gespielt. Und zwar meistens in den gegnerfernen Fuß. Fehler findet man, wenn man nicht pauschal urteilt, sondern jede Aktion in ihre Einzelteile zerlegt.

Ein Beispiel, bitte.
Zur Analyse eines Zweikampfs in der Defensive verwenden wir in der Ausbildung die Formel »ASTLB«. Das steht für anlaufen, stellen, Tempo aufnehmen, lenken, Balleroberung. Wurde ein Zweikampf verloren, kann ich genau sagen, woran es lag: Wurde der Gegner nicht richtig angelaufen, sodass es gar nicht zum Zweikampf kam? Wurde falsch gelenkt, ist es also nicht gelungen, den Zweikampfgegner vom Tor abzudrängen? Klingt unspektakulär, führt aber viel weiter als der Psychotalk.

46. Spielminute
Das Spiel hat noch nicht wieder an Fahrt aufgenommen? Zeit, folgende Wörter zu lernen:
1. Schaumaufteilung, die: Versuch, die genau richtige Zahl von Bierflaschen zu trinken, um weder zu nervös noch zu besoffen zu sein.
2. Gegendressing, das: betont formelles Kleiden während der Weltmeisterschaft, um sich von Kollegen und Freunden im Deutschlandtrikot abzugrenzen.
3. Fahnenmeer, das: die Gesamtheit stinkender Fußballfans auf der Fanmeile.
4. Kick and Flush, das: der ärgerliche Umstand, dass man ab dem Anpfiff plötzlich dauernd auf die Toilette muss.
5. Müdkurve, die: Fans, die von den vorausgegangenen Partyaktivitäten zu erschöpft sind, um die Mannschaft im Stadion noch unterstützen zu können.
6. Schwarz-Brot-Gold, das: Honigsandwich. 7. Helfmeter, der: unberechtigter Strafstoß, mit dem der Schiedsrichter eine Mannschaft, die zurückliegt, wieder ins Spiel bringt.
8. Moul, das: blöder, bestrafungswürdiger Kommentar vor dem Fernseher.
9. Flagiieren: Aufmalen ausländischer Fahnen auf die Haut, um das eigenen Kosmopolitentum zu betonen.
10. Public Booing, das: kollektives Fangestöhne bei einem Rückpass zum Torwart.

56. Spielminute Der Dortmunder Physikprofessor Metin Tolan hat ermittelt, wann sich eine Notbremse lohnt: »Wer schon in der ersten Spielminute eine Not­bremse begeht und dafür eine Rote Karte bekommt, schwächt seine Mannschaft entscheidend. Der Gegner wird statistisch gesehen mehr als ein Tor schießen. Je länger das Spiel voranschreitet, desto mehr lohnt sich aber die Notbremse. Das verhinderte Tor wiegt mehr als der Umstand, dass die eigene Mannschaft zu zehnt weiterspielen muss. Ab der 56. Minute – das zeigen mathematische Verfahren – ist es absolut geboten, den durchbrechenden gegnerischen Spieler ohne Rücksicht auf Verluste umzuhauen.«

60. Spielminute Es ist unterkomplex, Spieler nur aufgrund von Toren und Zweikampfverhalten zu beurteilen. Besser wären Koordinatensysteme, in denen auch menschliche Eigenschaften eine Rolle spielen. Hier als Beispiel die subjektive Einschätzung des NEON-Redakteurs (und Bayern-Fans) Jakob Schrenk:

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68. Spielminute Sehr wahrscheinlich, dass der Moderator irgendwann in den vergangenen Spielminuten gefordert hat, dass man »auch mal aus der zweiten Reihe draufhalten« müsse. Allerdings ist die Behauptung Unsinn: Innerhalb des Strafraums ist jeder siebte Schuss erfolgreich, von außerhalb ist es nur jeder 37. Schuss.

70. Spielminute Übrigens: Bei einer Umfrage der Guinness-Brauerei unter 1000 Briten konnten nur 53 Prozent der Männer erklären, was Abseits ist. Und 68 Prozent der Frauen.

75. Spielminute Spätestens jetzt fällt dir vermutlich auf, dass sich die Kommentare von dir oder von deinen Freunden irgendwie wiederholen. Der perfekte Anlass für ein Bullshit-Bingo! Wer als Erster eine vertikale, horizontale oder diagonale Linie abstreichen kann, gewinnt.

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82. Spielminute Die Spieler werden müder. Kein Wunder. So hat sich die durchschnittliche Laufleistung in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt:

90. Spielminute Bei der WM 2010 endeten dreizehn der 48 Vorrundenspiele mit einem Unentschieden. Von den sechzehn Partien der K.-o.-Runde wurden zwei in der Verlängerung und zwei im Elfmeterschießen entschieden.

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120. Spielminute Der Sportwissenschaftler Roland Loy hat 2000 Elfmeter aus Profibegegnungen in Bezug auf ihre Erfolgswahrscheinlichkeit untersucht. Überraschende Erkenntnis: Es ist nahezu egal, ob der Ball in die Mitte, halb links oder neben den rechten Pfosten geschossen wird. Worauf es wirklich ankommt, ist die Höhe. Die meisten abgewehrten Schüsse sind etwa kniehoch geflogen. 99 Prozent der Elfmeter, die die obere Torhälfte trafen, also mindestens 1,22 Meter hochgeschossen wurden, konnten vom Torwart nicht gehalten werden.

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5 Minuten nach dem Spiel Der Verkehrswissenschaftler Dirk Helbing hat die La-Ola-Welle wissenschaftlich untersucht: Um sie auszulösen, braucht es eine Gruppe von mindestens 25 Personen. Die Welle breitet sich dann mit einer Geschwindigkeit von zwanzig Sitzen pro Sekunde aus, was etwa vierzig ­Stundenkilometern entspricht. Am wahrscheinlichsten wird eine La-Ola-Welle ausgelöst, wenn die Fans nicht zu sehr erregt sind, mit anderen Worten: wenn sie sich mehr für sich selbst begeistern als für das (zu Ende gegangene) Spiel.

30 Minuten nach dem Spiel Deine Mannschaft hat verloren? Tröste dich! »Fußball ist der ungerechteste Sport der Welt«, erklärt der Physiker Metin Tolan: »In jeder anderen Sportart ist der Sieg der objektiv besseren Mannschaft, des objektiv besseren Athleten viel wahrscheinlicher als beim Fußball.« Zur Berechnung, welche Mannschaft objektiv besser ist, kann man beispielsweise die in den Partien zuvor erzielten Tore und kassierten Gegentore heranziehen. »Sogar eine Mannschaft, die objektiv doppelt so gut ist wie der Gegner, verliert in 26 Prozent der Fälle», sagt Tolan. Im Tennis wird um hunderte Punkte gespielt, im Handball fallen meist weit über vierzig Tore. Im Fußball kann ein einzelnes Tor den gesamten Spielverlauf auf den Kopf stellen. Diese Ungerechtigkeit macht einen im Fall des Sieges aber umso glücklicher. Nur zu empfehlen: der erste und zweite Teil unseres WM-Spezials.

Text: Christoph Koch, Jakob Schrenk

Fotos: Reuters, Bongarts / Getty Images (2), picture-alliance / dpa