Freizeit Die letzten Stimmen aus Syrien

Freizeit: Die letzten Stimmen aus Syrien
Tausende Menschen hungern in den Vororten der syrischen Hauptstadt Damaskus, weil Assads Truppen diese seit Wochen belagern. Der Aktivist Dani Qappani versucht in Moadamiyeh zu helfen.

Zwei Jungs löffeln Blätter aus einem Topf und ein totes Baby ist mit aufgequollenem Bauch in eine Decke gewickelt: Die Fotos aus den Vororten der syrischen Hauptstadt Damaskus, die seit Tagen bei Twitter und Facebook unter den Hashtags #Madaya, #Madaya_is_starving oder #SyriaCrisis geteilt werden, dokumentieren das Leid der Bevölkerung. Weil es in Syrien kaum noch objektive Berichterstattung gibt, übernehmen Aktivisten die Aufklärungsarbeit und senden Hilferufe.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk sprach Melissa Fleming, Sprecherin vom Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, heute über die Situation in Syrien: »Madaja ist nur eine von etwa 15 Städten in diesem Zustand. Betroffen sind etwa 400 000 Menschen.« In Madaja sind gestern nach langen Verhandlungen die ersten Hilfslieferungen eingetroffen und knapp 300 Menschen durften die Stadt verlassen.

Über eine Facebook-Gruppe mit dem Namen »Save madaya« haben wir Kontakt zu Dani Qappani aufgenommen. Dani ist 27 Jahre alt und lebt in Moadamiyeh, einem der belagerten Vororte von Damaskus. Vor dem Bürgerkrieg hat er in Damaskus Englische Literatur studiert, heute dokumentiert er was in seiner Stadt passiert. Assad hört angeblich alle Telefonate ab, deshalb haben wir mit Dani eine Stunde lang geskypt. Weil das Internet so schlecht ist, wurde die Verbindung immer wieder unterbrochen.

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Die unzähligen Fotos von hungernden Menschen werden in den sozialen Medien geteilt. Du wohnst in einer der belagerten Städte, zwanzig Minuten von der Hauptstadt entfernt, wie ist die Situation bei dir?

Die Nahrungsmittel sind überall knapp, hier in Moadamiyeh, aber auch in den umliegenden Städten: Darayya, Boqain, Zabadani, Ghouta, Homs oder Dier Azzour. Läden und Märkte haben geschlossen. Die Lebensmittel, die es noch gibt, werden hinter verschlossenen Türen verkauft, wie Diebesgut. Das Trinkwasser ist knapp, es gibt kaum Gas und Öl, mit dem man jetzt im Winter heizen kann und nur unregelmäßig Elektrizität. Die Menschen ernähren sich von Oliven, Kräutern und Suppe. In Moadamiyeh leben zur Zeit etwa 45 000 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Es ist bei uns noch nicht so schlimm wie in Madaja, aber wenn keine Hilfe kommt, ist es in zwei Wochen auch so weit.

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Was hast du heute gegessen?

Heute ist Samstag, es ist kurz vor Mitternacht, ich habe noch nicht einmal gefrühstückt. Wenn ich gleich auflege, werde ich mir etwas zum Essen suchen, damit mein Magen aufhört zu knurren. Wahrscheinlich werde ich ein paar Oliven essen.

Die Preise für Nahrungsmittel sind dramatisch angestiegen. Was kostet bei euch ein Kilogramm Reis?

Umgerechnet sind das knapp fünfzig Dollar. Die Menschen haben hier nicht so viel Geld. Und wir erwarten, dass die Preise weiter steigen werden.

Warum hat sich die Lage in den vergangen Wochen so dramatisch verschlechtert?

Uns geht es schon lange nicht gut, vor sechzig Tagen hat Assad Fassbomben über der Stadt abgeworfen. Seit zwanzig Tagen blockiert das Assad-Regime die Wege, die nach Damaskus führen. Vorher war es Studenten und Arbeitern erlaubt, nach Damaskus zu fahren. Allerdings durften sie keine Lebensmittel oder andere Sachen dabei haben. Die Soldaten haben manchmal Menschen dazu gezwungen sich auszuziehen, damit sie nichts schmuggeln konnten.

In einigen Artikeln heißt es, dass die Leute in Madaja soweit gehen, dass sie Katzen und Hunde essen müssen. Was hast du gehört?

Das war in Madaja, bei uns ist es noch nicht so weit. Vor drei Jahren war es bei uns auch so schlimm, dass wir Esel, Katzen und Ziegen essen mussten. Hunger, das ist eine grausame Strategie von Assad. Ich habe mit Freunden in Madaya telefoniert und sie haben am Telefon geweint, weil sie Hunger hatten und es so kalt ist. Sie leben in der gleichen Situation wie wir und dann habe ich auch geweint. Wir hoffen, dass bald etwas passiert, damit Assad die Blockade aufgibt.

Warum schirmt Assad die Städte ab?

Sie wollen die Vororte von Damaskus zurückgewinnen und von der Opposition befreien, weil sie Damaskus dann besser beschützen können. Nach Verhandlungen zwischen dem Regime und Anführern der Freien Syrischen Armee bekamen wir eine Nachricht von Assad: »Entweder ihr gebt auf oder ihr werdet sterben.« Aufgeben ist für uns aber keine Option.

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In den vergangenen Tagen haben Assad-Anhänger Fotos von ihrem Essen gepostet, als Antwort auf den Hunger. Die Teller waren voll mit Humus und Oliven. Warum machen sie das?

Wir blockieren solche Leute bei Facebook oder Twitter. Wir hoffen, dass Mütter diese Bilder nicht sehen, die ihren Kindern nichts zum Abendessen geben können. Es ist unakzeptabel und unmoralisch solche Bilder zu posten.

Hast du schon einmal über die Flucht nachgedacht?

Ich hatte ein paar Mal die Möglichkeit Syrien zu verlassen, aber ich möchte das nicht. Ich sterbe lieber hier. Wenn ich die Stadt verlasse kann ich den Menschen nicht so helfen, wie ich das jetzt tue. Ich rede mit ihnen und unterstütze sie. Wenn es Nahrungsmittel gibt, verteile ich sie unter den Armen. Assads Angriffe dokumentiere ich.

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Viele junge Männer sind geflohen, weil sie Angst davor hatten zum Militärdienst eingezogen zu werden. Was ist mir dir?

Ich habe keine Angst, ich stehe wahrscheinlich auf einer schwarzen Liste des Regimes. Wenn sie mich finden oder ich die Stadt verlassen will, dann werden sie mich töten.

Wie können Menschen helfen?

Es ist traurig, dass die UN nichts für uns tut. Die Welt sieht gerade dabei zu, was passiert. Ich glaube auch nicht, dass es bald Frieden geben wird, denn es ist nicht mehr unser Krieg. Amerika, Russland, Iran, alle haben Plänen in Syrien. Der Krieg wird nicht enden, so lange Assad an der Macht ist.

Die Fotos aus Moadamiyeh hat Dani uns bei Facebook geschickt.