Jakob: Je älter ich werde, desto milder werde ich. Früher konnte ich nicht verstehen, dass man auch Nicht-Kommunist sein konnte. Bis vor kurzem brachten mich auch Leute, die auf der Rolltreppe stehen bleiben, bis an den Rand des Wutanfalls. Mittlerweile bin ich viel nachsichtiger. Ich verstehe, dass man die Welt auch anders sehen kann, als ich sie sehe, dass es viele unterschiedliche Weisen gibt, sein Leben oder seine Freizeit zu verbringen. Mit einer Ausnahme: Wie um alles in der Welt kann man sich das Dschungelcamp ansehen?
Nora: Lustig, bei mir ist es genau andersherum. Je älter ich werde, umso lieber rege ich mich auf. Und deshalb schau ich gerne das Dschungelcamp – um mich zu echauffieren, zu staunen, zu lästern und zu lachen. Gemeinsam mit Freundinnen vor dem Fernseher. Ich verbringe ja nicht »mein Leben« oder »meine Freizeit« damit, sondern sechzig Minuten. Mich würde interessieren: Wie stellst Du dir das Dschungelcamp denn vor, wenn Du es noch nie gesehen hast?
Jakob: Die erste Staffel habe ich teilweise schon gesehen, die mit Daniel Küblböck. Von der fünften und sechsten Staffel habe ich auch was mitbekommen, weil meine Mitbewohner Fans sind. Ich weiß also ungefähr, worum es geht.
Nora: Hat dir aber nicht gefallen? Überhaupt nicht gelacht? Micaela Schäfer badet mit Ailton – überhaupt, Ailton, Daniel Küblböck glitscht in den Krokodiltümpel, Sarah Knappik muss zur hundertsten Prüfung, Rainer Langhans lässt sich vertraglich zusichern, dass er im Dschungel keine Insekten essen muss….
Jakob: Nö, hat mir nicht gefallen. Ich würde aber auch gar nichts sagen, wenn ich es nur einfach nicht witzig fände. Ich finde ja ziemlich viel nicht witzig. Das Dschungelcamp ist aber ganz einfach Sadismus. Man amüsiert sich darüber, wie sich Menschen selbst erniedrigen oder erniedrigt werden. Jetzt weiß natürlich jeder, dass man eigentlich nicht sadistisch sein darf, deswegen sind im Dschungelcamp auch keine ganz normalen Sachbearbeiterinnen und Krankenpfleger, sondern eben Promis. Denen darf man alles Schlechte an den Hals wünschen, »weil sie so blöd sind und trotzdem mehr Geld haben als ich«.
Nora: Das ist doch die einfachste und daher auch nicht wahre Annahme. In meiner Aufzählung waren keinerlei Häme-Momente. Es gibt im Dschungel immer durchaus zarte Momente. Die aufkeimende Liebe zwischen Rocco und Kim. Wie Ingrid van Bergen am Lagerfeuer im Flüsterton erzählte, wie sie ihren Geliebten erschossen hat. Wie Brigitte Nielsen über sich hinauswuchs, nur um als Camp-Mutti zu garantieren, dass alle genug zu Essen bekommen. Ich sehe das Camp als Insel in einem TV-Meer, in dem alles Fake ist: Scripted Reality, einstündige Maske, eingeübte Fragen, einstudierte Antworten mithilfe von PR-Beratern. Das Dschungelcamp ist eine Sendung, in der man echte, ungeschminkte Menschen sehen kann, die so sind, wie sie eben sind. Der Charakter tritt zutage, wenn man all den Luxus, all die Manierismen und PR-Fuzzis abzieht. Dann bleibt eben übrig: Der Mensch. Wen das nicht interessiert….
Jakob: Vielleicht interessiert mich die ungeschminkte Wahrheit tatsächlich nicht so sehr. Ich will jetzt nicht wie Margot Käßmann klingen, aber es ist doch schon interessant, was das Dschungelcamp über unsere Zeit aussagt. Stars waren früher so etwas wie Vorbilder, denen man nacheifern konnte, man konnte probieren, das eigene Leben genau so elegant, glamourös und sexy zu gestalten wie sie. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat dafür einen ziemlich guten Vergleich gefunden: »So wie der Skilehrer auch immer drei Zacken besser fährt als der Skischüler, fährt er doch so, dass der Skischüler hinterherfahren und sich vorstellen kann, ihm mit ein bisschen Übung nahezukommen.« Solche Vorbilder, sagt Pfaller, fehlten uns mittlerweile. Das glaube ich auch. Die »Stars« des Dschungelcamps sollen wir ja gar nicht bewundern, wir sollen nicht zu ihnen heraufblicken, wir sollen auf sie herabblicken. Ich glaube dir einfach nicht, dass es nicht um Häme geht. Die beiden Moderatoren haben eine absolut hämische Haltung gegenüber den Dschungelcamp-Bewohnern.
Nora: Es ist ja nicht so, dass ich die Sendung mache. Dann wäre ich für den Inhalt zu hundert Prozent verantwortlich. Ich sehe die Sendung aber nur. Manche Aspekte finde ich eben gut, manche finde ich schlecht, etwa die Ekelprüfungen. Ich will mich aber nicht aus der Affäre ziehen: Die Anmoderationen, früher von Sonja Zietlow und Dirk Bach, jetzt von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich, finde ich durchaus lustig. Sie sind eben nicht so brav und nichtssagend wie das Geseiere bei Germany’s Next Topmodel, nicht so ewig gedehnt und vorgetäuscht emotional wie bei DSDS. Sie sind witzig, aktuell und haben intellektuell anspruchsvolle Seitenhiebe auf das Tagesgeschehen. Wie konnte so etwas dem deutschen Fernsehen nur passieren? Ganz einfach: Die Moderationen entstehen in der Nacht und kein RTL-Verantwortlicher nimmt sie vorher ab. Sie sind ebenfalls ungefiltert und daher manchmal Aufreger, manchmal peinlich und manchmal wirklich sehr lustig.
Jakob: Dass die Moderationen wirklich intellektuell anspruchsvoll sind, ist mir tatsächlich neu. Aber gut, da vertraue ich deinem Urteil.
Nora: Musst du eigentlich gar nicht. Das Dschungelcamp war für den Grimme-Preis nominiert.