Freizeit Ein Video und seine Geschichte

»Ich will nichts Schlechtes über meinen Therapeuten sagen, obwohl ich inzwischen wirklich glaube, dass Homosexualität nicht schlimm oder sündig ist, und nichts, von dem Gott will, dass man es ablegt. Ich habe noch viel Respekt für ihn. Er war ein guter Mensch.« – Steve Grand
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Wir konsumieren jeden Tag unzählige Facebook-Statusmeldungen, YouTube-Video, Tweets und andere soziale Medienschnipsel. Vieles rauscht am Kopf vorbei. Manchmal nur, bleibt etwas hängen. Und man fragt sich: Wo kommt das eigentlich her?

Als Steve Grand in der achten Klasse war, gestand er seinen Freunden, dass er schwul war. Und wie das so ist, wenn man seinen Freunden etwas im Vertrauen sagt, erreichte die Neuigkeit bald auch seine Eltern. Die reagierten, wie gut katholische Eltern, gerade in den USA, noch heute zuweilen reagieren. Sie schickten ihren Sohn zur »Hetero-Therapie«. Fünf Jahre lang versuchte ein Psychologe, Steve das Schwulsein auszutreiben.

Das College hat Steve nach einem Jahr abbrechen müssen. Er hat ein bisschen gemodelt, in kleinen Bars in Chicago Klavier gespielt und als Kirchenmusiker gearbeitet. 7000 Dollar hat ihn die Produktion seines Videos gekostet, Steve hat dafür das Limit seiner Kreditkarte ausgeschöpft. Die Story ist schlicht – inspiriert, sagt er, von eigenen Erfahrungen als Teenager im Ferienlager. Bilder in Instagram-Tönung zeigen wie Steve und eine Gruppe von Freunden am Lagerfeuer herumtollen; es knistert zwischen ihm und seinem besten Kumpel. Gemeinsam besaufen sie sich erst mit Bourbon und steigen dann nackt, ihre Sixpacks entblößend, in einen See. Ein Kuss. Dann der Break. Nein, der Freund ist doch nicht schwul, er geht zurück zu seinem Mädchen, und auch wenn er Steve noch tröstend tätschelt – aus dieser Liebe wird nichts werden. Das ist ästhetisch ungefähr so aufregend wie ein C&A-Spot aus den Neunzigerjahren, in den auch Steve Grands softer Folk-Rock bestens passen würde. Ja, es geht um schwule Liebe, aber mit einer so reinen und so unerwiderten Liebe, kann sich auch ein Hetero-Publikum identifizieren – vor allem, wenn sie dazu noch so patriotisch daherkommt.

»Be my All-American boy tonight,
Where everyday’s the 4th of July,
And it’s alright, alright.«
– All-American Boy

Am 2. Juli stellte Steve Grand »All-American Boy« bei Youtube ein. Einen Tag später gab es den viralen Schub: Buzzfeed postet das Video, zusammen einer Sammlung attraktiver GIFs von Steves Oberkörper. Innerhalb der ersten Woche wurde das Video eine Million mal angesehen; inzwischen sind es mehr als 1,6 Millionen Aufrufe. Bald soll eine EP herauskommen. Und Steve macht jetzt die für virale Hits übliche Tour durch Frühstücksfernsehshows wie Good Morning America, an deren Ende man als Youtube-Star entweder in der Liga von PSY spielt oder wieder in der Obskurität des Netzes versinkt.

»Das ist alles ziemlich graswurzelmäßig. Ich habe bloß den Song bei Youtube hochgeladen und bei Facebook geteilt. Er hat sich ziemlich schnell verbreitet. Ich dachte, wenn er gut ist, macht er die Runde. Wenn er nicht gut ist, dann nicht, und ich versuche etwas anderes.« – Steve Grand

Steve hatte bis zum Anfang des Monats keinen Plattenvertrag, keinen Manager, keinen PR-Berater. Alles an ihm ist authentisch, so schreit es von der Verpackung. Aber er hätte sich selbst gar nicht besser erfinden können. Als ersten offen schwulen Country-Star feiern ihn jetzt die Medien. Auch wenn es da schon andere gab, die aber eben nicht ganz so hübsch aussahen wie Steve. Und auch wenn schwule Aktivisten sich nun darüber erregen, wie weichgezeichnet er über die Konversionstherapie spricht, die doch nach Expertenmeinung schwere psychische Schäden verursacht.

»Die Hunderte von Leuten, die mir gesagt haben: ›Deine Geschichte ist meine Geschichte, danke dafür‹, das genügt mir schon.« – Steve Grand

Schwulsein, das ist in Steve Grands Clip so amerikanisch wie Apfelkuchen. Und damit kommt er genau zum richtigen Zeitpunkt. Das Video ging online, eine Woche nachdem Ende Juni der Oberste Gerichtshof das Verbot der Schwulenehe gekippt hat, und direkt vor dem 4. Juli, dem Nationalfeiertag. Längst findet eine Mehrheit der Amerikaner, dass Homosexuelle heiraten dürfen sollten. Und eine so cleane, so abercrombiefitcheske schwule Liebe wie die von Steve Grand kommt für diese Mehrheit gerade richtig. »All-American Boy«, das ist die Youtube-Version eines Feel-Good-Movies für den Sommer, in dem Amerika seine Schwulen ans Herz drückte.