Um die Themen der Woche mal zusammenzubringen: Ich wüsste gerne, ob Michael Schumacher nicht schwul ist. Klar, er ist verheiratet. Und ja, er hat Kinder. Aber irgendwie sieht er ja so ein bisschen schwul aus, oder etwa nicht? Ich bin sicher, der Typ ist homo.
Weniger zynisch: Ich finde die tristeste Seite an dem ganzen Bohei um Thomas Hitzlspergers Outing, dass die Frage: »Wer ist eigentlich alles schwul im Profifußball« wieder derart hochkocht. Diese Gesellschaft, die Hitzlspergers Coming Out als willkommene Gelegenheit dafür nimmt, kollektiv über die eigene Offenheit und Toleranz zu masturbieren und dabei verächtlich die letzten Hinterwäldler sucht, die nicht mitmachen wollen – diese gleiche Gesellschaft ist sich auf dem gleichen Fest nicht zu schade, den Freak Hitzlsperger zu fragen, welche anderen Typen denn noch so drauf seien wie er. Hitzlsperger muss öffentlich erklären, er kenne sonst niemanden. (Ob das wohl der Wahrheit entsprechen kann, weil, die Schwulen, die kennen sich doch immer?)
Homosexualität ist in Deutschland also immer noch exotisch genug, dass man ungeniert neugierig sein darf. In Gesprächen unter Bekannten, in den Medien wird daher auch ohne mit der Wimper zu zucken die Liste der Typen runtergeklappert, die bestimmt als nächstes erklären werden, dass sie Männer interessanter finden als Frauen. Arne Friedrich, dessen Freundin vor zwei Jahren einen Brief veröffentlich hat in der Bild-Zeitung, in dem zu lesen stand, dass ihr Freund nicht schwul sei, erklärt dieser Tage nun wieder, er sei wirklich nicht schwul. Ob man ihm glauben darf?
Ich finde, man sollte eigentlich jetzt mal alle fragen, von denen man sich das irgendwie vorstellen könnte. Philip Lahm, Mehmet Scholl, Marcell Jansen, Mats Hummels, Lars Ricken, Jogi Löw, Jürgen Klinsmann und so. Auf so eine vertrackte Art ist vielleicht auch Olli Kahn schwul, glaube ich. All die Typen, die sind mit Frauen verheiratet oder nicht, aber jedenfalls sind die schwul, weil, na ja, man hat es ja schon oft gehört, man kennt jemanden, der das persönlich ganz sicher von jemandem weiß, der es sicher weiß, offene Geheimnisse, und ganz ehrlich, sie sehen doch auch so aus, also, all diese Typen sollen jetzt mal endlich mit der Sprache herausrücken. Wir hätten doch auch überhaupt kein Problem damit, wenn sie schwul wären, merkt man ja gerade wieder, wie cool wir mit dem Thema umgehen, hurra, also sollen die das jetzt auch mal bekennen, wir feiern die dann mit.
(Die Bundeskanzlerin soll auch mal sagen, dass sie lesbisch ist, weil, das wissen wir doch, das ist doch ein offenes Geheimnis, der Mann, mit dem sie zusammenlebt, ist ja nur Fassade. Weiß jeder.)
Worauf ich hinaus will ist, dass es erstens erstaunlich offene Spekulation über die sexuelle Orientierung von Prominenten gibt. Was beweist, dass wir Homosexualität als Gesellschaft keineswegs so normal finden, wie wir das gern von uns behaupten. Und dass ich mich zweitens frage, woher das eigentlich kommt, dieser Glaube, dass man wissen kann, dass jemand schwul ist, den man nicht kennt, den man nur ein paar Mal in der Glotze gesehen hat, jemand, der nicht die offensichtlichen, gesellschaftlich bekannten Codes benutzt, mit denen Homosexualität signalisiert wird.
Die Antwort, ist ja klar, ist der Gaydar. Die Fähigkeit also, Schwule zu erkennen, selbst wenn sie „ganz normal“ aussehen, sprechen, agieren.
Das finde ich total spannend. Ich glaube, der Gaydar ist eine Begabung, ein Geschenk der Evolution, wie schnell laufen können oder Mozart-Sein. Ich selbst habe jedenfalls keinen Gaydar. Mein „Gefühl“ liegt regelmäßig falsch. Ich bin auch, so wie die meisten heterosexuellen Männer, schon ein paar Mal von Schwulen angesprochen worden – obwohl die doch angeblich den besten Gaydar von allen haben, die Schwulen. Die können sich doch erkennen, echt jetzt. Das kommt zusammen mit dem Schwulsein. Deswegen gibt es ja auch Schwulenclubs, weil die Schwulen sich in normalen Clubs genauso gut gegenseitig identifizieren können.
Wenn früher über Hitzlsperger geredet wurde, habe ich nie gehört, dass das doch einer von diesen Schwulen sei. Hitzlsperger sah dazu offensichtlich nicht schwul genug aus, oder roch nicht schwul genug, sprach nicht schwul genug, spielte nicht schwul genug. Aber jetzt, wo man es weiß, ist es anders, jetzt sieht man ihm die Homosexualität doch an. Oder?