Alle regen sich über Gauchos auf – oder auch nicht. Ich rege mich darüber auf, dass sich alle aufregen. Dummer Shit.
Gestern Abend fuhr ich mit dem Fahrrad heim, und am Wegrand stand ein pöbelnder Besoffener, ich glaube ein Obdachloser, und der schlug mir mit einem Megaphon (wtf) gegen die Schulter. Es tat weh, und vor allem empörte es mich. Ich brüllte ihn an und er brüllte zurück, und dann fuhr ich weiter und versuchte, mich abzuregen. Unter anderem, indem ich mich daran erinnerte, was für ein armer Kerl das in Wahrheit wahrscheinlich ist, und dass ich ihn nicht anbrüllen, sondern trösten hätte sollen. Aber es ist nicht so leicht, sich abzuregen, wenn man sich einmal aufgeregt hat.
Heute morgen habe ich das gleich wieder begriffen, da habe ich mich gleich wieder aufregen müssen. Weil sich alle so aufregen über die Nationalmannschaft, die »So gehen die Gauchos« gesungen hat, über den #SuperGAUcho, #Gauchogate (lol hashtag lololol, wer hat den lustigsten, oder ist das ja doch garnicht lustig, hmmm), und so weiter.
Vielleicht war das echt nicht in Ordnung, dass die das gesungen haben (übrigens etliche Menschen auf der Fanmeile mit), weil es wieder um Die Deutschen und den aufrechten Gang geht und die Unter-Argentinier, oder so; und vielleicht war es aber auch total in Ordnung, weil das im Fußball eben so geht, dass man den geschlagenen Gegner verspottet, unter Vereinen und auch unter Nationen; oder vielleicht sollte man sich, wenn man sich über so etwas ärgern kann, die ganze Geschichte mit der Nationalmannschaft und dem Messen der Staaten untereinander insgesamt überlegen – das meine ich gar nicht spöttisch.
Jedenfalls gibt es über dieses ganze Ding Diskussionen auf Facebook und Kommentare in den ersten Zeitungen. War das okay oder nicht? Es geht hoch her. Ich schlage an dieser Stelle einen Kompromiss vor:
Es war scheißegal. Es war ein totales Non-Event.
Ich rege mich also auf heute Morgen, weil ich die Geburt einer »Debatte« erlebe über sinnlosen Shit. Die Debatte funktioniert so toll, weil es hier, das glaube ich, moralische Gummipunkte zu gewinnen gibt. Es ist so einfach. Und macht Spaß, weil man sich hier schnell über irgendwen erheben kann oder irgendein Verständnis zeigen kann, weil man hier hübsch behaupten kann, alle seien Rassisten oder alle seien versnobte Akademiker, und das kann man so hin- und herwerfen, weil es nur Gefühle gibt und Behauptungen, keine Argumente, und weil es in Wahrheit um nichts geht. Es ist so einfach, dazu Stellung zu beziehen, weil diese Stellung ohne irgendeine Konsequenz bleibt, weil jeder Vorwurf im Rausch um Debattenkarma ausgeteilt, nie aber wirklich gemeint ist. »Du bist Rassist – nee, nicht wirklich, aber Du weißt schon.« »Du bist abgehoben, übersensibel und lebensfern – nee, nicht wirklich, aber Du verstehst ja.«
Die Debatte ist beschissen und jetzt lasse ich mich hineinziehen, und muss mich ebenso beschissen finden. In Wahrheit sollte ich mich nicht aufregen, wahrscheinlich sind wir in Wahrheit einfach alle arme Schweine, die sich über die lange Zeit in diesem Land den Kopf verdreht haben, die irgendwie irgendwo mitreden wollen.
Ich bin insgesamt jedenfalls total froh, dass die WM vorbei ist. Ich habe mich zwar sehr gefreut über den Titel, aber als in der Halbzeit des Finals die Totenzahlen aus Gaza gemeldet wurden, waren mir die vollkommen gleichgültig. Als nach dem Spiel Feuerwerk abgefeuert wurde und Böller, habe ich nicht daran gedacht, dass es im nahen Osten gerade auch Feuerwerk und Böller gibt. Gaza, Totschlagargument, ich weiß. Aber mir hilft’s, den Kopf wieder gerade zu kriegen.