Wie ist wohl ein Mensch, der drei Mal im All war? Zwei mal einen Weltraumspaziergang unternommen hat, freischwebend in der Unendlichkeit, nur durch einen profanen Schlauch mit der Sojus verbunden? Wie gebiert sich ein Mensch beim Kaffeetrinken, der nichtmal aus der Ruhe kommt, wenn eine Wespe in seinem Visier eingesperrt ist – und er gerade einen Kampfjet in Formation fliegt? Der im Rechtsstreit mit David Bowie liegt? Wie sieht ein Held aus, so im normalen Leben?
Diese Fragen sind in meinem Kopf, als ich auf dem Weg zu meinem Treffen mit Chris Hadfield bin. Ich habe festgestellt, dass es gar nicht soviele Menschen gibt, die einen Lieblingsastronauten haben. Chris Hadfield ist mein Lieblingsastronaut. Er ist kein NASA-Astronaut, sondern von der Canadian Space Agency CSA. Bekannt wurde er einem größeren Publikum (und das ist eine Untertreibung, denn wir reden von 20 Millionen Klicks), als er das erste extraterrestrische Musikvideo aufnahm: Er schwebte durch die Schwerelosigkeit, hielt seine Gitarre fest im Griff und coverte »Space Oddity« von Bowie mit einer melancholischen Note in der Stimme.
Gerade ist sein Buch »Anleitung zur Schwerelosigkeit« (hier geht’s zur Leseprobe) erschienen und da Hadfield diese Woche in Deutschland ist, um das Buch zu promoten, ergattere ich einen einstündigen Interviewtermin in München. In der kommenden Ausgabe von NEON (erscheint am 7. Juni) gibt es ein »Vom Leben gelernt« mit ihm.
Ich stehe in der Lobby des Hotels und Chris Hadfield kommt – zehn Minuten zu früh – herein. Das erste, was mir auffällt, ist sein selbstbewusster, ganz gerader Gang, ein bisschen wie – möglicherweise übertreibe ich hier etwas – Bruce Willis in Armageddon. Man denkt sich den Raumanzug irgendwie gleich dazu. Hadfield ist 54 Jahre alt, sehr fit, hat ein sehr freundliches Jungensicht mit einem Schnauzer – und einen seeehr kräftigen Händedruck. Als ich ihm das aktuelle NEON-Heft zeige, mit einer nackten jungen Frau nachts im Wasser auf dem Cover, witzelt er, ob wir das Bild jetzt mit ihm nachstellen. Ich sage: Ja, ich dachte an den Brunnen vorm Hotel. Läuft. Der Journalist Andrian Kreye, der Hadfield einmal in Vancouver traf, beschrieb ihn in seinem Text als »militärisch« und etwas »steif« – keine Spur. Er ist zugewandt, interessiert, witzig und bestellt Snacks. Er ist ein Mann von Welt. Aber eben nicht nur.
Wie fühlt sich Mach 25 eigentlich an? Chris Hadfield sagt, dadurch, dass keine Landschaft an einem vorbeiziehe, könne man diese extreme Geschwindigkeit gar nicht so einordnen. Und die Zeit? Dort, wo Hadfield und seine zwei Kollegen 2013 waren, geht alle 46 Minuten die Sonne auf – und wieder unter.
»Man hat dadurch überhaupt kein Zeitgefühl. Man sieht einfach auf seine Uhr und nimmt zur Kenntnis: Es ist gerade drei Uhr irgendwo auf der Erde. Auf der ISS muss man soviel arbeiten – unser ganzer Tag wird in Fünf-Minuten-Intervalle eingeteilt -, dass man das Gefühl hat, die Zeit rauscht nur so an einem vorbei.« Es scheint ihm zu gefallen, soviel zu arbeiten, das wird klar. »Wir hatten einen Scherz, der davon handelt, dass die Zeit so schnell vergeht: Es ist immer entweder Montag oder Freitag. Der ganze Weltraumflug fühlte sich wie zwanzig Montage und Freitage an«.
Findet er es seltsam, dass Lady Gaga eine Viertelmillion Dollar bezahlt, nur um kurz mal ins All zu fliegen? Was hält er von Weltraumtourismus – er, der selbst sagt, er hatte große Angst davor, für seine Kameraden nutzlos zu sein?
»Ich habe nichts gegen Weltraumtourismus. Ich habe ja auch nichts gegen Tourismus auf der Erde, es ist eine Möglichkeit der Entdeckung.« Seiner Meinung nach ist das der ganz normale Fortschritt, vergleichbar mit dem Fliegen: Zunächst flogen nur Auserwählte, dann entwickelten sich Fluglinien für normale Passagiere. Und, dann doch ein kleiner Seitenhieb: »Lady Gaga möchte halt nur keinen Aufwand in das Projekt stecken, nicht wahr? Sie möchte nur bezahlen und einmal damit fahren, wie in einem Vergnügungspark. Richard Branson baut einfach ein Viertelmillionen-Dollar-Riesenrad«.
Dann plaudern wir lange darüber, was er vom Leben gelernt hat – ziemlich viel: Wie eine Ehe 39 Jahre lang hält, wie man Kinder erzieht, wie man mit Kollegen umgeht … und er erzählt, dass seine erwachsenen Kinder ihn liebevoll nachäffen, indem sie seine Regeln parodieren: »The Colonel says: Noone ever accomplished anything great by sitting there«, solche Dinge.
Abends gibt es einen Vortrag in der Münchner Volkssternwarte, fast ausverkauft. Ein Freund schreibt »I hope there’ll be enough SPACE for you«. Ja, im Nebenraum, in den der Vortrag auf Leinwand übertragen wird. Fünf Minuten vor seiner Multimediashow kommt Hadfield rein, alle verstummen, er sagt, es bringe ja nichts, noch fünf Minuten vor dem Auftritt herumzusitzen, er könne ja schonmal ein paar Bücher signieren, falls Interesse besteht. Das besteht.
Dann ist es 20 Uhr, Hadfield betritt die Bühne – und setzt das FC Bayern-Käppi auf, das ich ihm geschenkt habe. Ich hatte erfahren, dass er den Gewinn des DFB-Pokals am Vorabend vergnügt verfolgt hat. Ich bin so stolz, dass ich vor Schreck twittere!
Und dann heißt es Abschied nehmen. The Colonel says: Bye bye!