Freizeit Stimmen, die vertraut sind

Freizeit: Stimmen, die vertraut sind
»Wenn das Gerede erst so laut ist, dass es einem Rauschen gleicht, ist das wie Stimmen, die vertraut sind, in einer schweren Zeit. Doch bei einem halben Herzen, kommt nie der ganze Mut zusammen. Du kannst die Dinge nicht verwerfen, nur um sie irgendwo wieder aufzufangen.« (Halbes Herz)

Die Hamburger Band Herrenmagazin ist nach Veröffentlichung ihres vierten Albums »Sippenhaft« wieder auf Tour durch Deutschland und überzeugt bei ihrem Heimspiel mit schnörkelloser Vielseitigkeit.

Foto: Andreas Hornoff

Wer schon mal ein fast ausverkauftes Konzert im »Übel & Gefährlich« in Hamburg besucht hat, weiß, dass spätestens nach dem zweiten Song der Vorband nur noch ein sehr geringer Teil des Raumes mit Sauerstoff gefüllt ist. Überraschend ist allerdings, dass das auch an einem Sonntag passieren kann – nämlich dann, wenn die Rock- und Indieband Herrenmagazin ihrer Heimat die Ehre erweist.

Während ich mich mit Schwindel und Hitzewallungen an mein Bier klammere, betritt die Vorband »Helgen« die Bühne und startet mit ihrem Song »Wie es in den Büchern steht«. Die drei Jungs sind sympathisch, der Bassist unglaublich gut, die Musik solide. Dazugehörige Texte allerdings aneinandergereihte Phrasen, die so vorhersehbar wirken wie eine weitere Niederlage des Hamburger Sport Vereins. Oder wie es die Band auf ihrer Facebookseite bereits ganz gut selbst beschreibt: »Helgen baut Großstädte aus Sand, fährt den Gute Laune Bus zu Schrott und hätte gerne richtig gute Feinde.«

Um 21:20 Uhr betritt Herrenmagazin die Bühne.

Die 20-minütige Verzögerung wird nach den ersten beiden Songs höflich entschuldigt.

Herrenmagazin, das sind Sänger und Gitarrist Deniz, Gitarrist König Wilhelmsburg sowie Paul am E-Bass, Rasmus am Schlagzeug und die Live-Unterstützung Albert am Keyboard. Erst im Januar erschien das neue Album »Sippenhaft« beim Independent-Label »Grand Hotel van Cleef«, auf das nun eine ausgedehnte Tour durch die Republik folgt.

Schnell wird der größte Unterschied zwischen Herrenmagazin und ihrer Vorband Helgen deutlich: Während Helgen das Offensichtliche in leere Worthülsen verpackt, malt Herrenmagazin-Frontmann Deniz mit seinen Worten deutliche, klischeefreie Bilder von den alltäglichen Lieben und Kriegen, die alles andere im Kopf kurzzeitig ausblenden. Mit einer Bandbreite an verschrobenen und gleichzeitig sinnhaften Metaphern tanzt Sänger Deniz um Liebe, Leid und Hoffnung wie Rumpelstilzchen ums Feuer. Herrenmagazin erfindet die deutsche Rockmusik (furchtbarer Begriff) und ihre Themen nicht neu – aber wenn sie auf der Bühne stehen und davon erzählen, fühlt es sich an, als hörte man das erste Mal davon.

Alles, was die Band tut, wirkt authentisch und angenehm unaufgeregt. In den kurzen Pausen zwischen den Songs gibt es Anekdoten, einen kurzen Hinweis auf Mama im Publikum und offensichtliche, losgelöste Freude. Freude an der Musik und Freude an den Zuschauern, die fast jeden einzelnen Song mitsingen können, sobald Deniz das Mikrofon verlässt und die Emotionen auf seine Gitarre überträgt.

Konzertkritiken wirken häufig inhaltslos und austauschbar. Vermutlich liegt es daran, dass die Qualität eines Konzertes meist nach recht offensichtlichen Eigenschaften bewertet wird: Stimmung, Songauswahl, Sound, Performance. Aber das allerwichtigste wurde nach dem dritten Song des Auftritts von Herrenmagazin deutlich: Egal, wie heiß es ist und wie wenig Sauerstoff man in die Lungen pumpen kann, egal, wie die Stimmung, der Sound oder die Performance ist – man hofft inständig, dass das Konzert nicht mehr aufhört.

Ganz gleich, ob die Band Songs des neuen Albums oder der vorangegangenen Alben »Atzelgift« (2009), »Das wird alles einmal dir gehören« (2010) oder »Das Ergebnis wäre Stille« (2013) anstimmen – die Lieder, ihr Auftritt sowie das Gesamtkonzept wirken versiert, ausgereift und schnörkellos.

»Jedem seine fünf Minuten und jedem sein Talent. Jedem seinen Strohhalm, an dem alle Hoffnung hängt. Jedem seine gute Miene, zu diesem endlos bösen Spiel. All die zahllosen Bemühungen, die jeder überleben will. Jedem seine Schönheit und jedem genug Kraft, jedem so viel Hoffnung, dass er es bis zum Ende schafft. Jedem seine Nerven und seine Leidensfähigkeit. Die wirst du brauchen, wirst du merken – sowas lernst du mit der Zeit. Keiner will so sein doch alle sind so.« (Alle sind so)

Das Konzert hinterlässt ein verbindendes Gefühl irgendwo zwischen kollektiver Selbsthilfegruppe und einer kreischenden Hommage an das Leben. Man hört die Songs und hat für anderthalb Stunden das vage Gefühl, dass alles gut ist und alles Sinn macht. Aber ich schätze, das machen nicht Konzerte mit einem, sondern Musik. Oder um es mit Deniz‘ Worten zu sagen: »Es war so schön!«

Wer die Band auch live sehen möchte, hat in den nächsten Monaten noch die Chance:

05.11. Berlin (Bi Nuu)
09.11. Leipzig (Täubchenthal)
12.11. München (Milla)
13.11. Wiesbaden (Schlachthof)
08.01. Lüneburg (Salon Hansen)
24.02. Dortmund (FZW)
25.02. Osnabrück (Kleine Freiheit)
26.02. Trier (Exzellenzhaus)
27.02. Freiburg (Schmitz Katze)
29.02. Stuttgart (Schocken)
01.03. Erfurt (Museumskeller)
02.03. Dresden (Scheune)
03.03. Potsdam (Waschhaus)
04.03. Kiel (Orange Club)
05.03. Lingen (Alter Schlachthof)

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