Text: Sascha Chaimowicz | Illustration: Stefan Bachmann
Vor wenigen Wochen bekam ich eine E-Mail von Lena, einer 19-jährigen Germanistik- und Linguistikstudentin aus Münster. Sie hatte die ersten Folgen dieser Kolumne gelesen und schrieb in ihrer Mail, dass sie vieles, was sie über guten Sex wisse, von Pornovideos gelernt habe: »Ich schaue Pornos, um mich zu perfektionieren. Es geht mir um sexuelle Weiterentwicklung.« Ein interessantes Konzept, fand ich und besuchte sie.
Wir treffen uns in einem Innenstadtcafé, aber nachdem unsere Tischnachbarin demonstrativ aufsteht, um sich außer Hörweite zu setzen, verlegen wir das Gespräch in Lenas Wohnung. Lena hat blonde Haare und ein elegantes Gesicht. Sie ist seit einem halben Jahr Single, hat aber schon mehrere Beziehungen und Affären hinter sich. Kann man wirklich von Pornofilmen fürs eigene Sexleben lernen?
Lena sucht gezielt auf den Seiten wie youjizz.com oder xnxx.com nach Stellungen und Praktiken, die sie neu erlernen oder an denen sie arbeiten will. »Ich wollte zum Beispiel wissen, wie schnell man den Kopf beim Blasen auf und ab bewegen sollte«, sagt sie. Manchmal nutzt sie Pornos aber auch als Anregung und Inspirationsquelle: »Vor Analsex zum Beispiel hatte ich eher Angst. Aber als ich in den Videos gesehen habe, dass diese Stellung vielen Frauen sehr gefällt und manche dabei sogar ejakulieren, wollte ich das auch.« Dass sie in Wahrheit von Schauspielerinnen spricht, dass es bei Pornodrehs nicht um die sexuelle Erfüllung der Darsteller geht, sondern darum, das Publikum aufzugeilen, scheint ihr egal zu sein.
Sie wundert sich eher darüber, dass einige der Männer, mit denen sie ins Bett geht, mit ihr das erste Mal Analsex erleben – »obwohl die schon Mitte zwanzig sind. Spätzünder halt.«
Lena lehnt die Amateurporno-Optik ab, die man oft im Netz findet, und sucht nach hochauflösenden Videos. Es geht schließlich auch um Details. »Ich wollte Sex mit einer Frau probieren. Also habe ich mir lesbische Oralsexvideos angesehen«, erzählt Lena, »ich habe dabei gelernt, dass man mit der Zunge nicht einfach hoch und runter lecken, sondern die Klitoris mit dem Mund umfassen und sanft saugen sollte. Sonst fühlt sich die Zunge irgendwann hart an – nicht gut.« Sie habe das, sagt Lena, von dem Pornostar Nina Hartley gelernt, der sie in dieser Angelegenheit vertraue.
Sätze, die Lena beim Sex aufsagt: »Sag mir, dass es dir gefällt«, »Gib’s mir« und »Spritz es in mich«. Alle paar Wochen wechselt sie ihre Intimfrisur, ihre Favoriten sind Dreiecke und Striche. Lena geht ihr Sexleben an wie einen Diplomstudiengang, den sie »cum laude« abschließen will. 2013 schrieb sie in der Abizeitung, dass sie eine gute Köchin werden wolle. Seitdem hat sie zwei Kochkurse absolviert. So ist sie. Die Frage bei der Sexoptimierung ist nur, ob es den optimalen Sex überhaupt gibt. Es geht, denke ich, doch darum, zu erkennen, welche Bedürfnisse man hat. Und die ändern sich je nach Partner und Lebenssituation. Um Techniken und Drehbuchsätze geht es eher selten.
Vor wenigen Monaten hat sich Lena selbst beim Sex gefilmt. Die Kamera stand neben dem Bett. Lena sagt: »Das Ergebnis war schrecklich: Es sah so unästhetisch aus. Das Licht im Raum war zu hell. Man konnte keine Leidenschaft sehen.« Vielleicht lag es nicht nur am Licht.
Sascha Chaimowicz fragt jeden Monat Menschen, was für sie guter Sex ist. Was antwortet Ihr? Schreibt an bettgeschichten@neon.de
Dieser Text ist in der Ausgabe 11/14 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Bettgeschichten« findet ihr hier.