Liebe Bettgeschichten: Let’s talk about sex, baby!

Liebe: Bettgeschichten: Let’s talk about sex, baby!
Von allen Seiten wird einem gesagt, es sei wichtig, das Thema Sex offen mit seinem Partner zu ­besprechen. Klingt einleuchtend. Warum tun wir uns trotzdem so schwer damit

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Text: Sascha Chaimowicz | Illustration: Samuel Nyholm / sany.dk

Ich muss gestehen, dass es mir zu Beginn schwerfiel, Anna und Mark nicht merkwürdig zu finden. Sie hatten mir geschrieben, dass sie einen Tipp hätten, wie man als Paar sein Sexleben verbessern kann: mit der App Undercovers. Beide Partner klicken sich durch 99 vorgeschlagene Sexpraktiken und bewerten ­diese jeweils mit einem Herz (»ja«), einer Sprechblase (»darüber kann man reden«) oder einem Kreuz (»nein«). Am Ende sendet man einen Code an das Handy des Partners und kann abgleichen, wo gemeinsame Interessen liegen: Es werden nur diejenigen Praktiken angezeigt, bei denen beide Herz oder Sprechblase gewählt haben. Um alle Funktionen freizuschalten, bezahlt man 1,79 Euro. Ein schlüssiges Konzept – und dennoch: eine Sex-App? Geht es noch uncooler?

Ich besuche Anna, 33, und Mark, 30, in ihrer Wohnung in Graz, ein herzliches, leicht schüchternes Hipster-Paar. Auf Marks Handy gehen wir die 99 Praktiken noch einmal durch. Ich frage, ob sie sich nicht auch von sich aus hätten mitteilen können, dass sie gerne mal unter der Dusche miteinander schlafen würden. »Wir haben auch vorher über Sex geredet. Die App hat uns aber auf neue Ideen gebracht«, sagt Anna. Mark war überrascht, dass es Anna gefallen würde, wenn er ihr ins Gesicht ejakuliert. Anna wusste nicht, dass Mark es gut findet, wenn man ihm die Augen verbindet.

Die gesellschaftliche Erwartung ist klar: Über Sex sprechen ist gut und richtig. Nicht darüber sprechen ist prüde und verkrampft. Experten wie der Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer geben Ratschläge wie diesen: »Paare haben viel bessere Chancen auf eine feste erotische Bindung, wenn sie sich von Anfang an mit ihren Bedürfnissen auseinandersetzen.«

Solche Tipps blenden aus, dass jedes Paar eine einzigartige Kommunikationskultur hat. Einige verwenden Pieps­stimmen und Babysprache, wenn sie miteinander reden. Der Sinn dahinter ist letztlich immer, sich von der Außenwelt abzugrenzen. Einen geschlossenen Raum für sich als Paar zu schaffen. Es kann sein, dass Sexgespräche einfach nicht in diesen Raum ­hineinpassen. Es kann aber auch sein, dass genau das Gegenteil der Fall ist und man sich als Paar gerade dadurch definiert, dass man sich auf Partys ins Ohr flüstert, wie sehr man jetzt gerade ficken möchte. Letztere Haltung gilt gemeinhin als ziemlich lässig und hedonistisch. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ­Anna und Mark vor mir und wahrscheinlich auch vor sich selbst so tun, als diente die App nur dem Feintuning ihres Sexlebens. Sie sind eher stille Menschen, das prägt den Kommunikationsstil ihrer Beziehung, auch in Sachen Sex, sie können da nicht aus ihrer Haut.

Und so behelfen sich Anna und Mark eben mit einer App. Sie leistet Hilfestellung, indem sie Gespräche über Sex in Gang bringt. Sie macht den ersten Schritt und fragt: Analsex? Man braucht nur noch zu nicken oder mit dem Kopf zu schütteln. Solche Umwege zu nutzen ist ganz normal. Die App Undercovers ist nur der neueste Trick. Manche Paare sprechen im Bett eine Fremdsprache, sie trauen sich, »Fuck me harder« zu schreien, obwohl sie aus Bremen stammen. Oder sie bezeichnen bestimmte Sexpraktiken mit einer Zahl, um sie nicht laut aussprechen zu müssen. Sie sagen dann »drei«, wenn sie Lust auf »Doggystyle« haben. Das alles mag uncool klingen und ziemlich bescheuert. Man könnte auch sagen: menschlich.

Dieser Text ist in der Ausgabe 09/15von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. NEON gibt es auch als App für Apple & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel einzeln kaufen. Eine Übersicht aller »Bettgeschichten« findet ihr hier.