
EDITORIAL von Fiona Weber-Steinhaus, Redakteurin
„Das ist nicht mehr mein Land“, sagte eine Bekannte 2014, als sie aus Istanbul zurückkam, der Heimat ihrer Eltern, ihrem Sommerurlaubsort.
Zwei Jahre später gibt es in den deutschen Medien viele beunruhigende Schlagzeilen über die Türkei: Immer wieder Terroranschläge – wie kürzlich am Istanbuler Flughafen. Journalisten müssen ins Gefängnis. Der Bürgerkrieg in der Osttürkei. Deutsch-türkische Abgeordnete, die der Armenienresolution zugestimmt haben, erhalten Morddrohungen. Ein Staatspräsident, der immer autoritärer handelt.
Da stellt sich für uns die Frage: Wie geht es den Menschen in einem Land, das die Züge einer Autokratie annimmt? Und wie lebt es sich heute in Istanbul, einer der Partyhauptstädte Europas?
Die erste Idee, die meine Kollegen Christopher Piltz, Marco Maurer und ich hatten, war ein Streitgespräch zwischen Konservativen und Oppositionellen. Doch eigentlich fanden wir es besser, Menschen zu treffen, die uns nahe sind und mit denen wir ganz offen über ihr Leben in Istanbul sprechen können. Wir wollten wissen, was Studenten, die Intellektuellen, die Kreativen über ihr Land denken, die Menschen, für die die Gezi-Proteste ein Hoffnungsschimmer waren. 24 Stunden stand die Tür unseres gemieteten Apartments offen, elf Leute kamen – stundenlang sprachen wir, diskutierten, lachten. Als wir abends auf der Dachterrasse mit Dosenbier in der Hand die Interviews Revue passieren ließen, unter uns der Bosporus und die blinkenden Lichter der Großstadt, musste ich immer wieder an einen Satz unserer Gäste denken: Wir wollen weg. Eine Frage bleibt bisher unbeantwortet: Was passiert, wenn so viele Menschen ihr Land verlassen wollen?
Meine Kollegin Lena ist zum ersten Mal alleine weggefahren. Und hat darüber einen wunderbar melancholischen Text geschrieben – meine Leseempfehlung.

Viel Spaß beim Lesen!