Stalker, Grapscher, Sex-Post Wie registrierte Sexualstraftäterinnen in den USA zu Freiwild werden

Sexualstraftäter-Register: Je nach Bundesstaat sind die online für jedermann einsehbaren Liste sehr detailliert
Je nach Bundesstaat sind die online für jedermann einsehbaren Listen von Sexualstraftätern sehr detailliert. Sie enthalten Adresse, Größe, Gewicht und besondere Merkmale des Verurteilten
© Screenshot/Oklahoma Sex & Violent Offender Registry/www.sors.doc.state.ok.us
Wer sich in den USA eines Sexualvergehens strafbar macht, landet möglicherweise ein Leben lang am Internet-Pranger. Die Frauen unter den Verbrechern leiden offenbar besonders unter ihrer Stigmatisierung.

Verurteilte Sexualstraftäter, insbesondere solche, die sich an Kindern vergehen, verlieren jegliches gesellschaftliches Ansehen. Während sich Vergewaltiger und Kinderschänder in Deutschland nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in die Anonymität flüchten können, werden sie in den USA an den Internet-Pranger gestellt. In sogenannten Sex Offender Registries werden verurteilte Sexualstraftäter mit Name, Foto und aktueller Adresse geführt. Je nach Bundesstaat sind auch das genaue Vergehen sowie Merkmale wie Größe, Gewicht, Tattoos und aktueller Job aufgelistet.

Die US-Ausgabe von "Vice" hat sich kürzlich einem Teilbereich dieser Liste angenommen: den verurteilten Frauen. Dem Magazin zufolge machen diese rund sieben Prozent der mehr als 750.000 Registrierten aus. Nach mehreren Interviews mit den Betroffenen hat die Autorin die Einzelschicksale aufgeschrieben.

Wie die Frauen unter ihrer Stigmatisierung leiden

Da ist etwa Shawna. Die heute 34-jährige dreifache Mutter wurde mit 19 Jahren dafür verurteilt, mit einem 14-Jährigen geschlafen zu haben. Sie hat auch in der Dokumentation "Untouchable" ausführlich über ihren Fall berichtet. Während ihrer Bewährung, die im Juli auslief, musste sie zweimal im Jahr zum Lügendetektortest antreten, die Behörden stets über ihren Wohnort informieren und eine Therapie absolvieren. Auf der Täterliste des Bundesstaates Oklahoma wird sie - für jeden im Internet einsehbar - ein Leben lang bleiben.

Die Veröffentlichung der Adresse im Netz führte dem Bericht zufolge dazu, dass Shawna unzählige, belästigende Briefe von Fremden bekam. "Sie beschrieben ihre Geschlechtsteile, fragten mich, ob ich schon mal gegangbangt wurde und ob ich Vergewaltigungsfantasien hätte", berichtet sie "Vice". 2011 wurde sie von einem Stalker belästigt, musste eine Verfügung gegen den Mann erwirken. In ihrem alten Job wurde Shawna, so berichtet sie es dem Magazin, von ihrem Chef verbal und körperlich belästigt, habe sich aber nicht getraut, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Verurteilte Straftäter müssen dies in den USA ihrem Arbeitgeber mitteilen.

"Vice" berichtet auch von Tanya, deren Name für den Text geändert wurde. Diese hatte als Therapeutin Sex mit einem Patienten, wird allerdings nicht in einer öffentlichen Täterliste geführt. Sie gehört zur ersten Kategorie von Sexualstraftätern, die in einigen Staaten nicht öffentlich aufgelistet werden müssen, da es sich um minderschwere Fälle handelt. Lediglich die Kategorien zwei und drei müssen überall veröffentlicht werden. Allerdings muss Tanya per Gesetz allen potenziellen Sexpartnern von ihrer Vorstrafe erzählen. "Dadurch wird es schwieriger zu sagen: 'Nein, das will ich nicht mit dir machen', oder 'Ich möchte mit dem Sex noch warten'." Aufgrund ihres Status habe sie Übergriffe von Männern nicht angezeigt. Sie habe das Gefühl, sich nicht wehren zu dürfen.

So geht es auch Jenny, ebenfalls ein Pseudonym. Die heute Anfang-40-Jährige hatte als Lehrerin Sex mit einem 16-jährigen Schüler. In den vergangenen Jahren will sie mehr als 100 sexuell motivierte Briefe von Fremden bekommen haben. Bei den Behörden habe sie aber keinen davon angezeigt, aus Angst. Jenny möchte "unter dem Radar bleiben".

Zwei schaurige Verbrechen ebneten den Weg

Die Sex Offender Registries wurden in den USA bis in die 90er-Jahre hinein kaum genutzt. Zwei schauderhafte Verbrechen änderten das. Zunächst wurde 1989 der damals 11-jährige Jacob Wetterling entführt, vergewaltigt und ermordet. Erst 27 Jahre später führte der Täter, angeklagt wegen des Besitzes von Kinderpornografie, die Polizei zu den sterblichen Überresten des Jungen und gestand die Tat. Fünf Jahre nach Jacobs Tod erschütterte die Vergewaltigung und Ermordung von Megan Kanka die USA. Die Siebenjährige wurde Opfer ihres Nachbarn, eines vorbestraften Triebtäters.

Die ersten beiden Gesetze für die Einführung der Täterlisten in den USA trugen die Namen von Jacob und Megan, später kam in Anlehnung an einen ähnlichen Fall der Adam Walsh Child Protection and Safety Act hinzu. Seitdem können sich verurteilte Sexualstraftäter in den USA nicht mehr in die Anonymität flüchten. Das in der Form weltweit nahezu einzigartige Modell (Südkorea verfährt ähnlich) wird international, aber auch von nationalen Verbänden immer wieder scharf kritisiert. Die Stigmatisierung führe für die Aufgelisteten zu einer Ausgrenzung aus der Gesellschaft und stehe der Resozialisierung damit im Wege. Befürworter der Listen argumentieren dagegen mit angeblich bis zu 80 Prozent Rückfallquoten dieser Gruppen. David Feige, Regisseur der Dokumentation "Untouchable", nahm sich dieser Zahlen jüngst in der "New York Times" an und schrieb: "Nahezu jede Studie (...) sieht die Rückfallquote dieser Gruppe im einstelligen Prozentbereich, in der Regel um 3,5 Prozent." 

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STERN Nr. 46/17

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