EDITORIAL von Fiona Weber-Steinhaus, Redakteurin
Kühe gelten im Hinduismus als heilig. Das wusste ich. Was ich nicht wusste: dass es Menschen gibt, die sie als Ausrede nutzen, um andere zu verprügeln.
Im vergangenen Herbst habe ich drei Monate mit einem Recherchestipendium in Indien verbracht. Dort umsorgt man alte oder kranke Kühe in Pflegestationen. Während er ein Kalb streichelte, erzählte mir ein Mitarbeiter, dass man gegen die Feinde der Kuh mit aller Härte vorgehen müsse – zur Not mit Waffen.

Seitdem Narendra Modi vor knapp drei Jahren die Wahl zum Premierminister gewann, ist die Kuh in Indien wieder zum politischen Symbol geworden: Schlachtgesetze wurden verschärft, Kuhbürgerwehren wurden zum Synonym für gewaltbereite Unruhestifter. Wer macht so was? Engagierte Männer, die ihrer Überzeugung folgen? Eine religiöse Version von Pegida?
Zwei Bürgerwehren nahmen mich, den Fotografen Harsha Vadlamani und einen Übersetzer mit auf Patrouille. Und obwohl es manchmal schien, als fühlten die Männer sich geschmeichelt, dass ich, eine ausländische Journalistin, mit ihnen sprechen wollte, war unklar, ob die Stimmung kippen würde. Irgendwann wurde einer der Männer sauer, weil ich zu viele Fragen stellte, und wir zogen uns zurück. Um zu verstehen, wofür der Konflikt um die Kuh steht, sprach ich noch mit Anwälten, Schlachterinnungen, Tierärzten und Vertretern der hindu-nationalistischen Regierungspartei.
Auch im Heft: Im Mai wählen die Franzosen, im September dann wir. Immer wieder wird diskutiert, wie man mit Politikern wie Marine Le Pen oder Björn Höcke umgehen soll. Mein Kollege Jean-Pierre Ziegler hat junge Franzosen begleitet, die eine Antwort darauf haben. Sie fuhren durch ihre Heimat, um das Gespräch zu suchen – gerade mit jenen Menschen, die nicht ihrer Meinung sind. Die Reaktionen waren, gelinde gesagt, nicht immer nett.
Vielleicht würde es ja helfen, egal ob in Deutschland, Frankreich oder Indien, sich was von den Kühen abzuschauen: In der ganzen Zeit habe ich keine Kuh gesehen, die irgendwie ausgerastet ist.


